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Fraunhofer Weltneuheit aus Magdeburg

Magdeburger Forscher haben eine App entwickelt, die Inhaltsstoffe eines Lebensmittels oder den Zustand menschlicher Haut erkennen kann.

10.02.2017, 23:01

Magdeburg l Bevor Frauen in der Kosmetikabteilung zur Schminke greifen, werden sie vermutlich schon bald erst das Smartphone verwenden, um ihre Haut zu analysieren. Möglich macht das eine App, die Magdeburger Forscher am Fraunhofer-Institut entwickelt haben. „Fettig, trocken, empfindlich – zunächst wird der Zustand der Haut untersucht, dann wird das passende Produkt empfohlen“, erklärt Projektleiter Udo Seiffert.

Noch ist diese Anwendung allerdings Zukunftsmusik. In den Laboren im Wissenschaftshafen der Landeshauptstadt funktioniert das Programm derzeit nur mit Äpfeln und Kaffeebohnen. Doch das Versprechen der Forscher klingt revolutionär. Mit Hilfe der neuen App und einer Smartphone-Kamera können Nutzer künftig die Eigenschaften von Objekten, Lebensmitteln oder auch der menschlichen Haut untersuchen.

Für die App hat sich Udo Seiffert bei einem Prinzip bedient, das normalerweise in Hyperspektralkameras zum Einsatz kommt: Die Technik schaut nicht nur auf das sichtbare Licht, das Objekte zurückwerfen, sondern nimmt auch Wellenlängen wahr, die für das menschliche Auge nicht sichtbar sind.

„Da im Smartphone keine Hyperspektralkamera inte- griert ist, haben wir dieses Prinzip einfach umgedreht“, erläutert Seiffert. Das heißt: Nicht die Kamera misst die Lichtintensität, sondern das Display beleuchtet das Objekt nacheinander mit verschiedenen Farben. Mit Hilfe der Kamera und intelligenten Algorithmen erstellt die App in Sekundenschnelle den sogenannten spektralen Fingerabdruck.

Die Technologie ist nicht neu. Doch Seiffert ist es gelungen, den komplexen Vorgang auf ein Smartphone zu bannen. Seit 2008 tüftelt der Forscher daran, die Einsatzgebiete der Technik zu erweitern (siehe Infokasten). Doch große Hyperspektralkameras sind teuer, kosten mindestens 30 000 Euro. „Viele Firmen, mit denen wir zusammenarbeiten, haben uns gefragt, ob man da nicht etwas machen kann“, sagt Seiffert. Der Wissenschaftler konnte, will aber nicht zu hohe Erwartungen wecken: Die neue Technologie, die von den Magdeburger „HawkSpex mobile“ getauft wurde, kann die Großgeräte nicht ersetzen, für einfache Anwendungsgebiete aber eine Ergänzung sein.

Zwei Jahre haben Udo Seiffert und sein Team an der App gearbeitet. Mehrere Hunderttausend Euro hat die Fraunhofer-Gesellschaft in die Idee investiert. Eine erste Version ist fertig und zum Patent angemeldet. Ende des Jahres soll das Programm auf den Markt kommen. Bis dahin wollen die Forscher nicht nur an der Benutzeroberfläche feilen, die derzeit noch etwas steril daherkommt. Denn bevor die App Objekte oder Lebensmittel untersuchen kann, muss sie deren spektrale Fingerabdrücke erst einmal lernen. Die Magdeburger benötigen noch Zeit, ihrer App durch Vergleichsmessungen weitere Anwendungsgebiete beizubringen.

Auch nach der Veröffentlichung bleibt das System lernfähig. Udo Seiffert träumt von einer Internet-Community ähnlich wie bei Wikipedia: Das Online-Lexikon lebt davon, dass Nutzer Beiträge verfassen. „Wenn die App auf den Markt kommt, können neue Anwendungsgebiete kreiert werden, etwa die Beurteilung der Belastung von Salatköpfen mit Pflanzenschutzmitteln“, erklärt Seiffert. Das funktioniert so: Nutzer vermessen belastete und unbelastete Salatköpfe verschiedener Sorten mit der App und schicken die Daten an das Fraunhofer-Institut. Forscher überprüfen die Messungen und schalten das Anwendungsgebiet dann für alle Nutzer frei.

Seiffert plant die App gemeinsam mit Partnern aus der Wirtschaft anzubieten. „Wir sind derzeit mit mehreren Unternehmen im Gespräch“, sagt der 49 Jahre alte gebürtige Hallenser. Seit Jahrzehnten lebt die Fraunhofer-Gemeinschaft davon, ihre Patente über Lizenzgebühren der Industrie zugänglich zu machen. Bestes Beispiel ist das Dateiformat „mp3“, das Fraunhofer-Forscher in den Neunzigerjahren entwickelten. Aus den „mp3“-Lizenzen fließen bis heute jedes Jahr Einnahmen in zweistelliger Millionenhöhe in den Haushalt der Forschungs-Gesellschaft.

Und wie erfolgreich wird die App aus Magdeburg? Udo Seiffert ist optimistisch: „Es sind so zahlreiche Einsatzbereiche denkbar, dass der Markt uns sicherlich überrennen wird.“ Beinahe jede Branche könnte sich die Technologie zunutze machen und – wie bei Kosmetikprodukten – durch gezielte Empfehlungen die Kundenbindung erhöhen.