Jobpendler Boom bei Zweitwohnungen

Familie hier, Job da - viele Fach- und Führungskräfte leisten sich Zweitwohnungen. Die Städte haben Mühe, sich darauf einzustellen.

31.05.2017, 23:01

Berlin (dpa) l Montag bis Freitag Berlin. Eine Wohnung im In-Viertel. Abends ein Drink mit Kollegen. Freitag bis Montag Stuttgarter Umland. Ein Haus im Grünen. Dazwischen Stunden auf der Autobahn oder im Zug. Das ist Alltag für immer mehr Menschen, die an mehreren Orten zugleich leben. Statt „Ich hab‘ noch einen Koffer in Berlin“ – wie einst Hildegard Knef sang – gilt immer häufiger „Ich hab‘ noch eine Wohnung in ... Berlin, München, Ingolstadt oder Wolfsburg“. Wissenschaftler sprechen von zunehmender Multilokalität.

Mehr als zwei Millionen Haushalte, so schätzen die Experten, unterhalten in Deutschland mehr als einen Wohnsitz. Belastbare Zahlen gebe es zwar nicht, da lange nicht alle in Zweitwohnungsstatistiken auftauchten, sagt Raumforscher Rainer Danielzyk. In einigen Stadtteilen aber wie in Köln-Sülz oder der Leipziger Südvorstadt lebe jeder vierte Haushalt multilokal, hat der Generalsekretär der Akademie für Raumforschung und Landesplanung herausgefunden.

Früher hätten oft Monteure und Bauarbeiter je nach Konjunktur an unterschiedlichen Orten gearbeitet. „Jetzt sind es zunehmend hoch spezialisierte Fach- und Führungskräfte“, sagt Stadtgeograf und Direktor des Berliner Moses Mendelssohn Instituts, Stefan Brauckmann. Doch auch Menschen, die in ihrer Heimat keinen Job bekommen, entscheiden sich fürs Pendeln. Besonders Eltern von schulpflichtigen Kindern gehen diesen Kompromiss für einen Arbeitsplatz oder den Sprung auf der Karriereleiter ein. Darauf weisen auch Zahlen des Statistischen Bundesamts von 2013 hin. In nur 23 Prozent der Zweitwohnungs-Haushalte lebten demnach Alleinstehende. Singles seien eher bereit, für den neuen Job umzuziehen.

Häufig zieht es die Multilokalen zum Arbeiten in Großstädte, deren Wohnungsmärkte enger und enger werden. Berlin nutzt den Boom aus und hat gerade seine Zweitwohnungssteuer auf 15 Prozent verdreifacht. Zwei Wohnungen zu finanzieren ist allerdings schwierig. Wohngemeinschaften von Berufstätigen seien daher im Kommen, hat Brauckmann beobachtet. „Die starre Grenze zwischen Beherbergungsgewerbe und Wohnungswirtschaft verschwimmt mehr und mehr“, sagt der Geograf Brauckmann. Das Angebot bei flexibleren Beherbergungsmodellen sei aber noch viel zu klein. Auch Wohnungsbaugesellschaften, so sagt Danielzyk, hätten Multilokale noch nicht als Markt entdeckt.

Dafür aber große Konzerne. So baute die Deutsche Bahn zuletzt in Frankfurt am Main eigene Wohnungsbestände für ihre Mitarbeiter auf. Vollmöblierte Apartments „exklusiv für Bahner“ mit flexiblen Mietdauern und „Rundum-Sorglos-Paket“. Die Wohnung dient zunehmend als Lockmittel.