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Telefonabzocke Von Erotik bis Hundefutter

Die Klagen über Abzocke am Telefon nehmen in Deutschland immer mehr zu. Neue Gesetze wird es vor der Wahl wohl nicht mehr geben.

15.06.2017, 23:01

Berlin (dpa) l „Können Sie mich hören“, fragt der unbekannte Anrufer. Wer darauf am Telefon mit „Ja“ antwortet, könnte kurze Zeit später beispielsweise einen Handy-Vertrag ins Haus geschickt bekommen. Denn schwarze Schafe der Branche schneiden das „Ja“ aus dem Gespräch heraus und stellen es als Zustimmung für einen Kaufvertrag dar. Im ersten Quartal 2017 registrierte die Bundesnetzagentur mit fast 4200 schriftlichen Beschwerden pro Monat annähernd eine Verdopplung im Vergleich zum Vorjahr. Die Behörde fordert mehr Befugnisse für die Verbraucher und eine Dokumentationspflicht für die Arbeit der Call Center. Der Dialogmarketingverband DDV lehnt eine Dokumentationspflicht ab und verweist auf den freiwilligen Kodex der Branche zum Schutz gegen illegale Praktiken und Belästigung von Kunden.

Schon im Vorjahr waren die Beschwerden bei der Aufsichtsbehörde wegen unerlaubter Werbeanrufe von 24.500 auf mehr als 29.000 hochgeschnellt. Die Höhe der Bußgelder verdoppelte sich auf 900.000 Euro. Im laufenden Jahr wüchsen die Beschwerdezahlen weiter, sagt die zuständige Referatsleiterin der Bundesnetzagentur, Judith Herchenbach-Canarius.

Proteste gibt es immer wieder wegen des hartnäckigen und aggressiven Tons mancher Anrufer. So wurde im vergangenen Jahr eine Firma für Tiernahrung mit 150.000 Euro Bußgeld belegt, weil sie ohne Zustimmung und einschüchternd getrommelt hatte. Sogar Nicht-Hundehalter wurden genötigt, Futter zu kaufen. Betroffene sprachen von „Telefon-Terror“.

Infografik: Unerlaubte Werbeanrufe nehmen wieder zu | Statista Mehr Statistiken finden Sie bei Statista

In einem anderen Fall erhielten Nutzer massenhaft SMS mit erotischem Inhalt auf ihr Handy – in mindestens einem Fall war unter den Empfängern ein Grundschulkind – und teure 0900er-Nummern für einen Rückruf. Die Bundesnetzagentur schaltete die Nummern ab und verbot dem Anbieter, die mit den Rückrufnummern angefallenen Telefongebühren einzukassieren. In diesem Fall konnte die Aufsichtsbehörde schlagkräftig reagieren, häufig gibt es aber auch Probleme.

Vielfach unterdrücken Werbefirmen nämlich ihre Rufnummer oder lassen durch technische Tricks ganz andere Nummern im Display des Verbrauchers erscheinen. Solche unterdrückten oder „aufgesetzten“ Nummern sind zwar bei Werbeanrufen ebenfalls verboten, lassen sich aber oft nicht nachweisen, weil der Zugriff auf die Verbindungsdaten gesetzlich geschützt ist. Die Behörden sind dann auf möglichst genaue Angaben der Verbraucher angewiesen, wer sie wann angerufen und für welches Produkt geworben hat.

Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg fordern in Bundesratsinitiativen, dass Verträge nur noch dann gültig sein sollen, wenn der Käufer das Geschäft noch einmal schriftlich bestätigt. Ähnliche Einschränkungen wurden bereits für Glücksspielangebote eingeführt. Danach gingen diese Angebote massiv zurück.

Über die mögliche Rechtsänderung wird vor der Bundestagswahl voraussichtlich nicht mehr entschieden, aber der Branchenverband protestiert lebhaft: Die Verschärfung von 2013 zeige bereits Wirkung. Weitere seien ein „Irrweg“ und entzögen dem seriös und redlich betriebenen Telefonmarketing wirtschaftlich den Boden. Immerhin beschäftige die Branche alles in allem um die 500.000 Menschen und wachse weiter. Außerdem hätten Kunden ein 14-tägiges Widerrufsrecht, das in der Praxis sehr gut funktioniere und wahrgenommen werde.