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Erziehung Kommunikation mit Kindern nicht übertreiben

Das Smartphone als ständiger Begleiter führt auch dazu, dass Eltern und ihre Kinder in ständigem Austausch stehen. Wann wird es zu viel?

22.06.2017, 07:00

Berlin (dpa) l Hier ein Selfie von der Klassenfahrt nach Italien, dort ein schneller Text aus der Schulpause: Dank Nachrichten-Apps oder Chatprogrammen können Eltern und Kinder dauernd Kontakt halten. Ganz schön praktisch. Aber ist das immer gut? Jugendforscher Prof. Klaus Hurrelmann beantwortet im Interview die wichtigsten Fragen.

Hat sich das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern durch moderne Kommunikationsmöglichkeiten geändert?

Klaus Hurrelmann: Ja, auf jeden Fall. Das Verhältnis hat sich verdichtet – ein Trend, den wir seit etwa 15 Jahren beobachten. Kinder und Eltern sind sich sehr nah. Auch Jugendliche über 25 Jahre schätzen ihre Eltern noch als allerwichtigste Bezugspersonen. An ihnen richtet man sein Leben aus, Mutter und Vater sind Berater in allen Lebensfragen, von der Bildung über die Berufswahl bis zur Partnerwahl. In Kinder- und Jugendstudien stellen wir einen engen Kontakt zwischen Kindern oder Jugendlichen und den Eltern fest. Die modernen Kommunikationsmedien haben diesen Trend verstärkt. Sie ermöglichen es, von morgens bis abends, an jedem Ort und bei jeder sich bietenden Gelegenheit miteinander in Verbindung zu treten.

Ist so viel Kontakt gut?

Das kann man nur sehr schwer bewerten. Wenn ein Jugendlicher vor zwanzig Jahren für ein Jahr ins Ausland ging, war es eher üblich, dass er alle vier Wochen einen Brief an die Eltern schrieb und insgesamt zweimal anrief. Heute verliert man sich nicht aus den Augen und steht in dauerndem Austausch, etwa über Videotelefonie. Das ist natürlich für beide Seiten angenehm. Aber: Dahinter steht auch das Gefühl der Eltern, dem Kind könne etwas zustoßen. Hier liegt das Problem, denn der heute so enge Kontakt ist immer auch eine enge Kontrolle für die Kinder.

Was bedeutet das für Kinder?

Wenn die Eltern ständig auf Sendung sind, können die Kinder nichts Heimliches mehr machen, keine Kontakte knüpfen und Räume erschließen, die Abenteuer mit sich bringen. Das brauchen sie aber für ihre Entwicklung. Und sie benötigen Rückzugsräume und Herausforderungen, von denen die Eltern nichts mitbekommen. Paradox wie es klingt, sind es heute die neuen Kommunikationsmedien, die Jugendlichen auch neue Rückzugsmöglichkeiten bieten. Da sie ihren Eltern bei der Nutzung des Internets meist überlegen sind, können sie hier über Netzwerke Aktivitäten ausüben, von denen ihre Eltern nur wenig mitbekommen. Diese Netzwerke sind heute die Wiesen von damals, wo man auch unkontrolliert unterwegs sein konnte. Was vor zwanzig Jahren die Outdoor-Activity war, das ist dieser Tage virtuell im Netz angesiedelt.

Wie bewerten sie diese Entwicklung?

Die modernen Kommunikationsmedien haben Gutes und Schlechtes. Zum einen nehmen sie den Kindern und Jugendlichen den Raum, ohne Kontrolle und Zutun der Eltern eigene Entscheidungen zu treffen und Krisen durchzustehen. Wenn die Eltern ihre Rolle überziehen, wenn sie zu den berüchtigten „Helikopter-Eltern“ werden, die ihr Kind ständig aus der Luft kontrollieren und bei der kleinsten Gefahr eingreifen, dann verlernt das Kind, Entscheidungen zu treffen, weil es gar nicht weiß, was für Kriterien dafür gelten. Insgesamt ist das, was die Eltern machen, eine Gratwanderung. Das kann wunderbar sein mit der Kommunikation, aber das richtige Maß einzuhalten, ist die große Kunst. Wenn Eltern da zu weit gehen, dann blockieren sie die Entwicklungsmöglichkeiten der Kinder.