TV-Tipp Aufbruch

Hilla Palm hat die Chance, ihre Herkunft in einfachen Verhältnissen hinter sich zu lassen. Doch die junge Frau wagt den Schritt nicht. Das ist bei weitem nicht der schwerste Schlag in ihrem Leben.

Von Marco Krefting, dpa 06.12.2016, 23:01
Die Schauspieler Daniel Sträßer (l-r), Margarita Broich, Ulrich Noethen und Anna Fischer bei den Dreharbeiten. Foto: Henning Kaiser
Die Schauspieler Daniel Sträßer (l-r), Margarita Broich, Ulrich Noethen und Anna Fischer bei den Dreharbeiten. Foto: Henning Kaiser dpa

Berlin (dpa) - Es ist wie eine anderthalbstündige Gesellschaftsstudie - verpackt als Spielfilm: Hier die Unterschicht, die auf einem schlammig-staubigen Hof haust. Dort die Bourgeoisie, die wohl gekleidet und gebildet bei Spirituosen und Musik in feinen Sälen zusammenkommt. Zwischen den Welten wandelt Hilla Palm: eine junge Frau, die mit ihrer Familie hadert, ihrer Familie trotzt.
Sie bildet sich, geht aufs Gymnasium. Als einziges Mitglied ihrer Sippe spricht sie Hochdeutsch - und hebt sich damit schon vom rheinischen Singsang der Eltern und der Großmutter ab. Das Erste zeigt "Aufbruch" nach dem gleichnamigen Roman der renommierten Autorin Ulla Hahn am Mittwoch (7.12., 20.15 Uhr). Der Film schließt an den Zweiteiler "Teufelsbraten" von 2007 an, steht aber für sich.
Hilla ist hin- und hergerissen. Sie will aus der Welt ausbrechen, in der sie großgeworden ist. Dem Pastor, der in der Gemeinde Geld für ihre Schulgebühren gesammelt hat, dankt sie mit den Worten: "Ich glaube, Sie haben mein Leben gerettet." Mit ihren Eltern streitet sie sich über den so ganz anderen Karriereweg, bis der Vater zuschlägt.
In der anderen, der gehobeneren Welt lernt sie den reichen Spross Godehard van Keuken kennen und lieben. Als er beim ersten Treffen mit ihrer Familie Blumen und Pralinen mitbringt, holt die Mutter für den Strauß die gute Vase von der Fronleichnamsprozession und empfindet die Geschenke "wie Weihnachten". Im schicken Anzug zwischen den Pfützen wirkt der junge Mann auf dem Hof hingegen völlig deplatziert - mit einfachen Bildern zeigt Regisseurin Hermine Huntgeburth so die großen Unterschiede zwischen den Schichten.
Drehbuchautor Volker Einrauch lässt van Keuken nach dem Treffen von einem "Loch" sprechen, in dem Hilla wohne. "Ich hol' dich hier raus, ganz schnell. Du hast was anderes verdient." Doch Hilla kann den Schritt nicht mitgehen. "Wir passen nicht zusammen", sagt sie. Und es folgen Schicksalsschläge, die noch viel schwerer und erschütternder sind: Eine brutale Vergewaltigung droht ihre im Großen und Ganzen vielversprechende Zukunft zu zerstören.
Anna Fischer spielt erneut Hilla Palm - und das ebenso zwiespältig, wie die gesamte Geschichte angelegt ist. Mal wirkt sie wie eine emanzipierte junge Frau, die sich allen Widerständen zum Trotz ihren Weg bahnt. Mal wirkt sie noch wie ein naives Mädchen, das mit einem freundlichen Lächeln die Welt betrachtet. Ihre Aussagen klingen wie auswendig gelernt, dann im Streit mit den Eltern wie die trotzigen Wutausbrüche einer Pubertierenden. Obwohl auch die Nebenrollen prominent und stark besetzt sind - etwa mit Margarita Broich als Mutter und Ulrich Noethen als Vater - steht Hilla klar im Mittelpunkt.
Mehr oder weniger nebenbei gibt der Film Einblicke in die Umbrüche in Deutschland in den frühen 1960er Jahren. Als es noch unüblich war, dass Kinder schlechter gestellter Schichten sich bilden, Karriere als Schriftstellerin machen. Und doch will die Arbeiterklasse ihren Stolz bewahren. Hillas Mutter sagt einmal voller Inbrunst: "Wir sind bloß Proleten. Aber Schulden machen, nee!"
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