Unterm Radar

Wir leben in Zeiten des Terrors und der ständigen Bedrohung - wo endet da die persönliche Freiheit?

Von Klaus Braeuer, dpa 13.10.2015, 23:01

Berlin (dpa) - Ein herrenloser roter Reisekoffer steht vor der Gedächtniskirche in Berlin, ein Bombenentschärfungstrupp sperrt alles ab und zerstört den Koffer. Der Inhalt war harmlos, Fehlalarm.

Als nächstes wartet irgendwo ein Pappkarton - Alltag für die Polizei in Berlin, wo ständig irgendwelche Bombendrohungen für öffentliche Plätze eingehen. So beginnt der Film Unterm Radar an diesem Mittwoch (20.15 Uhr, ARD).

Wenig später wird es leider blutiger Ernst: Ein Linienbus explodiert am Gendarmenmarkt, bei dem Anschlag kommen sieben Menschen ums Leben, 40 Menschen werden schwer verletzt. Die beiden BKA-Fahnder Heinrich Buch (reduziert: Heino Ferch) und Richard König (skrupellos: Fabian Hinrichs) lassen daraufhin die Wohnung der Richterin Elke Seeberg (emotional: Christiane Paul) stürmen und die schlafende Frau brutal festnehmen. Grund: Ihre Tochter Marie (Linn Reusse), eine Studentin der Islamwissenschaften und angehende Journalistin, wird verdächtigt, gemeinsam mit ihrem marokkanischen Freund an dem Anschlag beteiligt gewesen zu sein.

Elke Seeberg, die den Job des Kammergerichtspräsidenten Hochheim (Hans-Werner Meyer) übernehmen soll, wird beurlaubt und beteuert, dass sie und ihre Tochter unschuldig sind. Gemeinsam mit Hilfe ihrer Freundin Ulla (Inka Friedrich) und des Journalisten Tom Henskind (Matthias Matschke) beginnt sie nach ihrer verschwundenen Tochter zu suchen. Ganz allmählich werden die Konturen der bitteren Wahrheit deutlich.

Der Film zeigt mit klarer Mahnung, wie weit Behörden und Ermittler gehen können, wenn es um die Überwachung von Bürgern geht: Kameras halten überall fest, wo ein Verdächtiger sich aufgehalten hat; eine Bonuskarte bei der Apotheke zeigt auf, welche Medikamente jemand nimmt; Telefon- und Bankverbindungen und eine verwanzte Wohnung (mit Mikros und Kameras) tun ihr Übriges. Unterm Radar ist ein Fachausdruck und meint: Bei der angeblichen Wahrheitsfindung dürfen alle (Rechts-)Mittel ausgeschöpft werden. Frei nach dem Motto: Jeder, der eine Tat begehen könnte, muss schon vorher dingfest gemacht werden. Darüber hinaus machen Regisseur Elmar Fischer und Autorin Henriette Buegger klar, dass es bei allem auch um persönliche Beziehungen geht und darum, inwieweit eine Mutter zu ihrer Tochter stehen kann, von der sie bei weitem nicht alles weiß.

Elmar Fischer (47) hat hier eine Art von Fortsetzung seines Films Fremder Freund inszeniert und mit Heino Ferch bereits den Film Im Dschungel gedreht. Das ist doch die Chance, die wir mit solchen Filmen haben: Wir verführen Menschen, sich auf andere Milieus, spannende Figuren und fremde Sichtweisen einzulassen, und bringen so den Kopf zum Arbeiten und zum Denken, sagte Fischer zu seinem neuen Film im ARD-Interview. Wenn das gelingt, dann freut mich das und ich weiß, warum ich diesen Job mache. Bei allen berechtigten sicherheitsrelevanten Bedenken, die heute von Polizei, Justiz und Politik angeführt werden, ist für mich aber klar, dass wir bleiben sollten, was wir sind: ein freies, demokratisches Land, in dem sich jeder Einzelne entfalten darf und in dem das Recht des Einzelnen ähnlich stark gewichtet wird, wie die Pflicht, die Allgemeinheit zu schützen. Ich denke, dass uns dieses Thema noch lange begleiten wird. Leider.

Anders gesagt: Was nützt uns alle Freiheit, wenn wir uns in ihr nicht sicher fühlen, und was nützt uns jedwede Sicherheit, wenn wir nicht wirklich frei sind? Jeder Bürger kann in die Fänge angeordneter Überwachung und Repression geraten, wenn einzelne Sicherheitsfanatiker ihre Möglichkeiten konsequent und schonungslos ausschöpfen - und damit das Rechtssystem massiv gebeugt wird. Der Film ist ein Beitrag mit gesellschaftspolitischer Relevanz, der viele Fragen aufwirft und dazu auffordert, sich ihnen zu stellen.

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