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"Faust" im Harz Weltendrama wird zum rationalen Kammerspiel

Das Nordharzer Städtebundheater bringt "Faust" mit einer ganz kleinen Schauspieler-Riege auf die Bühne.

Von Hans Walter 13.10.2015, 23:01

Quedlinburg. Für Regisseur Philip Jenkins, seine Ausstatterin Andrea Kaempf und Dramaturgen Sebastian Clar war es eine ganz große Herausforderung. Striche, Textumstellungen, Verzicht auf ganze Szenen (Erdgeist und Geisterchöre, Auerbachs Keller) oder knappste Andeutungen (Vor dem Tor, Pudelszene, Hexenküche, Walpurgisnacht, Walpurgisnachttraum, Kerker) kappen einen Großteil der überbordenden Fantasien Goethes. Das spielerische Vergnügen, das Volksliedhafte, das halluzinatorisch Irrlichternde, Unerklärliche der Dichtung bleiben auf der Strecke. Das Weltendrama wird zum rationalen Kammerspiel. „Faust“ in 135 Minuten.

Jenkins teilt seine Hauptfigur in den alten und den jungen Faust. Der alte Faust (Arnold Hofheinz) präsentiert sich im ersten Teil als Deklamationssüchtiger. Er redet und bramarbasiert ohn‘ Unterlass. Aus diesen Monologen zog schon der alte Büchmann wie aus einem Steinbruch für seine „Geflügelten Worte“ einen Großteil seines deutschen Zitatenschatzes.

Den jungen Faust im zweiten Teil gibt Sebastian Borucki. Ein Draufgänger. Ein Liebender – und zugleich Zerstörender, der zum Mörder wird. Endlich kommt das Spielerische zu seinem Recht. Die Szenen mit dem erst 14-jährigen Gretchen (Lisa Marie Liebler) sind großartig. Sie zeigt Hoffnung und Verzweiflung, spielt den Tod ihres ertränkten Kindes voll aus. Sie zeigt die Pein über die Gerüchte des Dorfes, sie habe ihre Mutter ermordet. Sie verfällt dem Wahnsinn, als auch noch ihr draufgängerischer Soldaten-Bruder Valentin (Curdin Caviezel) durch Faust erstochen wird. „Heinrich – mir graust vor dir!“ hält sie am Tag vor ihrer Hinrichtung resigniert dem einstigen Liebhaber entgegen.

Die Glanzleistung dieses Abends bietet Gerold Ströher als Mephisto. Schlangengleich, schnell, kultiviert in der Sprachbeherrschung wie in seiner Mimik und dem Fingerspiel. Andrea Kaempf schuf beredt erzählende, zeitgenössische Kostüme für das achtköpfige Ensemble. Ihre Bühne ist Theater auf dem Theater: Ein Gewölbe, das sowohl Studierstube des alten Faust wie Gretchens Zimmer ist, verhangen durch einen roten Theatervorhang. Am Ende sitzt die Dorfgemeinschaft, die Toten wie die Untoten, vor dieser Bühne. Links steht der alte Faust und wiederholt seinen Eingangsmonolog: „Habe nun, ach, Philosophie, Juristerei und Medizin und – leider – auch Theologie durchaus studiert. Da steh‘ ich nun, ich armer Tor! Und bin so klug als wie zuvor.“ Keine göttliche Stimme „gerettet“ kommt von oben. Das Spiel kann von Neuem beginnen.

Aber ein wenig erinnerte dieser minimalistische „Faust“ an eine von Brechts Keuner-Geschichten: Ein Gärtner sollte einen großen Lorbeerbaum zur Kugel schneiden. Er schnitt hier und da, bis ein Kügelchen herauskam. Kommentar von Herrn Keuner: „Gut, das ist die Kugel. Aber wo ist der Lorbeer?“