1. Startseite
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Buch
  6. >
  7. Ostdeutsches Roadmovie: Marion Braschs "Wunderlich fährt nach Norden"

Ostdeutsches Roadmovie: Marion Braschs "Wunderlich fährt nach Norden"

05.08.2014, 08:52

Frankfurt/Main - Vor zwei Jahren veröffentliche Marion Brasch (53) ihren ersten Roman. "Ab jetzt ist Ruhe" war die viel beachtete Geschichte ihrer Familie.

Aufmerksamkeit war der Berliner Rundfunkjournalistin mit diesem Buch gewiss, denn die Braschs gehörten zur DDR-Prominenz. Marion Braschs Vater Horst war stellvertretender Kulturminister, ihr älterer Bruder Thomas Schriftsteller und Rebell. Ihr Roman beschreibt die Tragödien in ihrem Umfeld aus der eher beiläufigen Sicht eines Kindes, das sein Recht auf Normalität einfordert.

Schon damals konnte man den Stil der Autorin kritisieren, der manche sprachliche Schludrigkeit aufwies. Doch die autobiografische Familiengeschichte entfaltete ihren eigenen Sog. In Marion Braschs neuem Roman, einem gänzlich fiktiven Werk, fallen manche Unzulänglichkeiten dagegen stärker auf. "Wunderlich fährt nach Norden" ist ein Roadmovie, das sich im Schneckentempo durch die ostdeutsche Provinz bewegt und dabei kaum Spannung oder Sprachwitz an den Tag legt.

Wunderlich ist ein 43-jähriger Zeichenlehrer, der sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hält und sich gerade in einer akuten Lebenskrise befindet. Seine Freundin Marie hat ihn verlassen, seinen 17-jährigen Sohn hat er schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Nur sein Handy bleibt ihm treu. Es führt nicht nur in anonymen SMS vertrauliche Gespräche mit ihm, es scheint auch über seherische Gaben zu verfügen. So verrät es ihm quasi en passant die Lebensgeschichten völlig unbekannter Passanten, was einerseits spannend ist, ihn aber anderseits auch in Verlegenheit bringt. Eines Tages beschließt Wunderlich, die Stadt (sicher Berlin) zu verlassen und nach Norden zu fahren, irgendwohin Richtung Meer. Doch er kommt nicht so weit.

Mitten in der Pampa wird er im Zug von einer rabiaten Schaffnerin vor die Tür gesetzt, weil er angeblich kein gültiges Ticket hat. Erst später wird er erfahren, dass der Bahnhof, an dem er aussteigen muss, eigentlich schon seit Jahren stillgelegt ist. Doch es bleibt nicht die einzige Merkwürdigkeit auf seiner achttägigen Tour. Er begegnet sonderbaren Menschen wie dem Motorradfahrer Finke, der in einer verlassenen Gastwirtschaft haust und plötzlich so spurlos verschwindet, wie er aufgetaucht ist. Das jointrauchende Mädchen Toni, der Schöne Ringo und die Gelegenheitsprostituierte Rote Rita sind weitere bizarre Figuren in diesem wunderlichen Roadmovie, das allerdings kaum von der Stelle kommt und sich in Endlos-Dialogen verliert.

Reales und Surreales vermischen sich, die Geschichte ist manchmal geerdet, dann wiederum nimmt sie fantastische, märchenhafte Züge an. Wunderlich entdeckt das magische Blauharz, das übernatürliche Kräfte entfaltet und seine Wunde in Sekundenschnelle heilt. Ist es Traum oder Wirklichkeit? Spuk oder Realität? Von allem ein bisschen, es bleibt bewusst unentschieden.

So viel jedoch ist klar: Am Ende kehrt Wunderlich von seinem Selbsterfahrungstripp einigermaßen geheilt zurück. Ach ja, am Meer war er dann wohl doch. Aber das erfährt nur, wer bis dahin durchgehalten hat.