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"Die Lüge" - Literarische Abrechnung mit der DDR

11.03.2014, 09:54

Leipzig - Das Schicksal von DDR-Kindern mit Stasi-Eltern ist schon seit geraumer Zeit ins Interesse von Sachbuch-Autoren gerückt. Ruth Hoffmann etwa ließ vor einigen Jahren in ihrem gleichnamigen Buch "Stasi-Kinder" ausführlich zu Wort kommen.

Jetzt hat sich auch der Lyriker Uwe Kolbe (56) des Themas angenommen, allerdings aus einem persönlichem Blickwinkel. Und er macht gleich in den ersten Sätzen seines Romans "Die Lüge" deutlich, dass es ihm nicht leichtgefallen ist: "Die Geschichte ist mehrfach erzählt worden. Als ich darauf kam, dass auch ich sie erzählen müsste, obwohl sie dem alten Muster gehorcht und ich kein Erzähler bin, war das kein besonders schöner Moment."

"Dass die Geschichte meine eigene ist, macht das Erzählen nicht einfacher", bekennt Kolbe einen Absatz weiter. Seine Geschichte, das ist die des früh in der DDR erfolgreichen Autors, dessen Vater Ulrich hauptamtlich für die Stasi arbeitet. Im Buch wird aus dem Schriftsteller ein Komponist, ein Sound-Künstler in den 70er und 80er Jahren der DDR. Der Vater bekommt den Vornamen Hinrich, der Sohn wird Harry genannt.

Auf 383 Seiten umkreist Kolbe das Spannungsverhältnis zwischen Vater und Sohn. Für den Leser ist das stellenweise anstrengend, denn er springt in kleinen Kapiteln zwischen dem als Ich-Erzähler auftretendem Junior und der Beschreibung des Seniors hin und her. Beide kommen nie recht voneinander los, auch wenn der Vater früh die psychisch kranke Mutter verlässt und sich in der Folge in diverse Frauengeschichten und Ehen stürzt. "Bei der Scheidung der Eltern hätte (...) meine Geschichte als unabhängige Person beginnen können", schreibt Kolbe. Lange bleibt es beim "hätte". Und der Vater ist stolz auf seinen Erstgeborenen, nennt ihn kämpferisch wie sich selbst, einen Dickschädel.

In dem Roman wird die DDR als das beschrieben, was sie war: ein graues, zunehmend bröckelndes Land. "Grau war der Grundton von unser aller, also auch meinem Leben. (...) Blätternder Putz, schlagender Putz. Farbe trugen höchstens die Ziegel, wenn die lose Außenhaut der Gebäude abfiel, einem auf den Kopf oder in die Finger fiel als sandige Substanz, pochte man an eines der Häuser, aus Spaß, aus Langeweile, aus Unmut, um ein Geräusch zu erzeugen, um sich Gehör zu verschaffen."

Der Vater ist überzeugter DDR-Bürger und Stasi-Mann. "Er hielt sich überhaupt an das, was in der Magdalenenstraße verabredet worden war", heißt es einmal. Wie viel der Sohn wirklich vom Mann mit der Lederjacke wusste, bleibt einigermaßen ungewiss. Spät im Leben des Vaters melden sich leise Zweifel, aber: "Er berichtete weiter korrekt. Da konnten sie einem Preußen wie ihm nicht am Zeuge flicken." Er bringt zwar in seinen Spitzelberichten auch Missstände unter - aber fragt sich zugleich, ob das überhaupt noch jemand liest.

Der Sohn schwimmt lange mit. Er lebt nicht schlecht in einem Künstlerviertel mit wechselnden Frauen. Beim Blick zurück wird Kolbe schonungslos. "Ich folgte der gängigen Art und Weise, sich miteinander durchzuwursteln", schreibt er. Und fügt ein weiteres, bekanntes Mosaiksteinchen über das Leben in der DDR ein: dass die Leute in dem kleinen Land gesoffen haben wie die Großen. Auch der Komponist Harry trinkt stets und ständig - und sich offensichtlich die Gegebenheiten schön: "Wir, die Trinkeropposition."

In der Realität verlässt Uwe Kolbe 1988 die DDR. Aber da sein Buch keine Autobiografie ist, sondern eine literarische Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte, ist das Ende ein anderes. Der Sohn rechnet mit sich ab: "Ich lebte in einem Kokon des Ungesagten. Unter uns herrschte ein grausamer Mangel an Konkretion! In unseren engen, versoffenen Zusammenhängen herrschte Mangel an Genauigkeit." Und gegenüber dem Vater findet er auch zu ungeahnter Radikalität, nachdem er eines erkennt: "Doch halt! - ich wusste auf einmal, woran es lag, das Schweigen."

- Uwe Kolbe: Die Lüge. S. Fischer Verlag, Frankfurt, 383 Seiten, 21,99 Euro, ISBN: 978-3100402219.