1. Startseite
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Buch
  6. >
  7. Biografie: "Die talentierte Miss Highsmith"

Biografie: "Die talentierte Miss Highsmith"

17.03.2015, 13:25

Zürich - Wer Patricia Highsmith ("Der talentierte Mr. Ripley") gelesen hat, fragt sich spätestens nach dem zweiten Roman, was für eine Persönlichkeit die amerikanische Autorin (1921-1995) wohl gewesen sein mag.

Denn viele ihrer Protagonisten - zumeist Durchschnittsmenschen - agieren so überzeugend in ihrer Unmoral, ihrem Selbstverständnis vom Verbrechen, dass das Böse den Anstrich der Normalität erhält. Highsmith, die Mutter des Psychothrillers, verstand viel von den Abgründen der menschlichen Seele - und war selbst in ihrer Komplexität schwer zu fassen. Eine neue Biografie mit dem doppeldeutigen Titel "Die talentierte Miss Highsmith" kommt der Autorin sehr nahe.

Die amerikanische Schriftstellerin und Dramatikerin Joan Schenkar, Jahrgang 1952, hat das Leben der schillernden Persönlichkeit nahezu minutiös erforscht und von Bekannten und Freunden der Krimi- und Romanautorin ergänzen lassen. Rund 300 Interviews hat sie in acht Recherchejahren geführt. Und Tausende Seiten aus Notiz- und Tagebüchern der Highsmith gewälzt, um deren rätselhaftes Wesen besser entschlüsseln zu können. Das Porträt ist ein Kunstwerk - spannend und unterhaltsam geschrieben und vor allem derart ausgeleuchtet, dass sich dem Leser eine Pat Highsmith erschließt, wie sie sich wohl nie gezeigt hat oder auch zeigen wollte.

Denn Highsmith war trotz ihrer gesellschaftlichen Umtriebigkeit ziemlich verschlossen und in späten Jahren "eine verbitterte alte Auster". Zwölf Jahre hat sie beispielsweise gebraucht, um sich als Autorin des homosexuellen Romans "Salz und sein Preis" zu outen. Dabei war weitgehend bekannt, dass Highsmith selbst lesbisch war und zahllose Liebschaften mit Frauen hatte - einige aber auch (versuchsweise) mit Männern.

Interessant ist das Bild, das Schenkar dabei nicht nur von Highsmith, sondern von der amerikanischen Gesellschaft Mitte des vergangenen Jahrhunderts zeichnet. Zugegebenermaßen beschränkt sich das vorwiegend auf Künstler- und Intellektuellenkreise, beispielsweise im New Yorker Szeneviertel Greenwich Village. Allgemein aber lässt sich wohl sagen, dass der Moralbegriff seinerzeit erheblich weiter gefasst war als im heutigen prüden Amerika.

Pat Highsmith hatte anfangs - und auch in späteren Jahren wieder - echte Schwierigkeiten, in den Staaten ihre Literatur an Verlage zu bringen. Schon bald kehrte sie ihrem Geburtsland den Rücken und ließ sich - mit Unterbrechungen - in Europa nieder, wo sie außerordentlich populär wurde und am 4. Februar 1995 im Alter von 74 Jahren starb.

In den USA ist sie vor allem durch ihren Roman "Zwei Fremde im Zug" (von Hitchcock unter dem Titel "Der Fremde im Zug" verfilmt) bekannt geworden. Später auch durch die Verfilmungen ihres Buchs "Der talentierte Mr. Ripley": 1960 mit Alain Delon unter dem Titel "Nur die Sonne war Zeuge" und 1999 unter dem Originaltitel mit Matt Damon. Dem Ripley-Roman sollten noch vier Fortsetzungen folgen, ebenfalls teilweise verfilmt. Ripley, so Schenkar, war eine Art Alter Ego der Highsmith.

Das "Alter Ego" ist einer der vielen interessanten Bausteine der Biografie, die nicht chronologisch, sondern nach Aspekten wie "La Mamma" (Highsmith und ihre Mutter Mary verband eine starke Hassliebe), "Sozialkunde", "Les Girls" oder "Die wahre Romantik der Dinge" geordnet ist. Das macht das Porträt komplex. Und ohne, dass Schenkar es wiederholen muss, kommen dem Leser am Ende ihre Eingangsworte in Erinnerung: "Sie war nicht nett. Sie war nicht höflich. (...) Patricia Highsmith war - abgesehen von einer unkonventionellen Künstlerin mit Ausnahmetalent - so etwas wie das Negativ eines alten Fotos, bei dem alles Schwarze weiß und alles Weiße schwarz war. (...) Deshalb entwickelte sie im Säurebad ihrer detailgesättigten Prosa ihre eigene, alternative Welt - Highsmith-Country."

Um dieses Highsmith-Country noch besser überschauen zu können, sind der Biografie eine umfangreiche Chronologie sowie weitere klärende Anhänge beigefügt. Das spannende und durchaus bizarre Leben der Autorin bekommt durch Schenkars Porträt scharfe Konturen und bietet dem Leser ebenso viel gute Unterhaltung wie ein Highsmith-Roman, denn es dreht sich im Großen und Ganzen um die zwei Hauptstränge im Leben der talentierten Autorin: Liebe und Verbrechen.

"Pat erforschte die Menschen aus demselben Grund, aus dem sie Bücher las und sich in Frauen verliebte: um in ihnen etwas "wiederzuerkennen", das mit ihrem Glauben an das makelbehaftete, zerrissene und zwiespältige Leben übereinstimmte", schreibt Schenkar. Kurz: Sie führt den Beweis, dass die Zerrissenheit, die psychischen Probleme und die daraus resultierende Affinität zum Bösen Patricia Highsmith letztendlich zur Kriminalliteratur befähigten. Es kommt nicht von ungefähr, dass ihre Biografie für den Edgar Allan Poe Award nominiert wurde.

- Joan Schenkar: Die talentierte Miss Highsmith, Diogenes Verlag Zürich, 1072 Seiten, 29,99 Euro, ISBN 978-3-257-06898-6.