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Magdeburger Puppentheater Von den Mühen, Spitze zu bleiben

29.10.2014, 01:10

Das Votum der Magdeburger Stadträte hätte nicht eindeutiger sein können: Einstimmig beschlossen sie, dass Michael Kempchen, der langjährige Intendant des Puppentheaters, bis 2021 dieses Amt ausübt. Im Gespräch mit Grit Warnat haben er und der künstlerische Leiter Frank Bernhardt über Entwicklungen und Wachstumsgrenzen gesprochen.

Volksstimme: Blicken wir voraus. Wo wird Ihr Haus 2021 stehen?
Michael Kempchen: Kern unserer Arbeit ist und bleibt das Theater mit seinen Inszenierungen und mehr als 400 Vorstellungen im Jahr. Wir haben immer Wert auf enagierte Inhalte und die Weiterentwicklung unserer Formensprache gelegt. Eine Stagnation darf es nicht geben, dann verliert das Theater seine Attraktivität.Mein Blick richtet sich auch auf den Kulturbetrieb, der wir geworden sind. Der Jugendkunstschule wollen wir eine größere Bedeutung zukommen lassen, die Villa P. muss weiter mit Leben gefüllt, die Kinderkulturtage organisiert werden. Und das Internationale Figurentheaterfestival wird weiter-entwickelt werden.

Sie wollen das Figurentheaterfestvial ausbauen?
Kempchen: In Sachsen-Anhalt werden Telemann, Weill, Händel mit großen Festtagen geehrt. Ein kontinuierlich stattfindendes Sprechtheaterfestival in Sachsen-Anhalt gibt es bisher nur durch das Figurentheaterfestival. Es hat das Potenzial, zu einem Landesfestival entwickelt zu werden. Wir können uns gut vorstellen, über die Stadtgrenzen hinaus zu gehen. Warum soll Figurentheater zu diesem Festival nicht auch in Halle, Stendal oder Quedlinburg gespielt werden? Dann braucht man aber eine andere Organisationsform, sicher auch ein eigenes Organisationsbüro.

Und damit mehr Geld.
Kempchen: Richtig ist, dass es nur mit einem erweiterten Engagement des Landes realisierbar ist. Aber warum nicht darüber nachdenken?

Das Theater hatte in der vergangenen Spielzeit die sehr stolze Auslastung von 98,7 Prozent. Wie motiviert man sich mit Blick auf diese Zahl?
Kempchen: Wir spielen in der Bundesliga und haben dort einen Spitzenplatz erreicht. Dort oben anzukommen, ist ungeheuer schwer gewesen und nur durch viele Helfer und Rückenwind aus der Stadt möglich geworden. Aber an dieser Spitze zu bleiben, das ist unendlich schwieriger. Und genau dort liegt meine Motivation: Dieses Haus soll nicht ins Mittelfeld zurückfallen, sondern mit an der Spitze bleiben.

"Wir spüren, wie wichtig kulturell ästhetische Bildung in unserer Gesellschaft ist."

Frank Bernhardt: Puppentheater ist eine Theaterform, die sich hinsichtlich der Formenvielfalt, der Adaption von Themeninhalten, der Inszenierungsarbeit und Formensprache stark entwickelt hat. Das macht unsere Arbeit unglaublich spannend. Und uns ist unsere Neugier nicht abhanden gekommen. Unsere Motivation kommt aus dieser Neugier heraus.

Das Haus ist bis Ende des Jahres fast ausgebucht. Ist das eher Anlass zur Freude oder ist es Last?
Kempchen: Wir schätzen uns glücklich, aber es ist auch Last. Wir stoßen ständig an Grenzen, weil wir begrenzte Räumlichkeiten und eine begrenzte Personalsituation haben. Sieben Puppenspieler können nicht immerzu spielen und proben, proben und spielen.

Die Wachstumsgrenze ist also erreicht?
Kempchen: Eindeutig ja. Wenn wir mehr machen würden, ginge das nur mit zusätzlichem Personal.

Apropos Personal. Sie haben auf der jüngsten Intendantenkonferenz die Diskrepanz zwischen Stellen in der Theaterpädagogik und Nachfrage nach solchen Angeboten angesprochen. Was krankt aus Ihrer Sicht?
Kempchen: Das Puppentheater hat nur eine Theaterpädagogin. Das ist jetzt schon zu wenig. Wir spüren, wie wichtig kulturell-ästhetische Bildung in unserer Gesellschaft ist. Dieser Verantwortung wollen wir uns gern stellen, diese Projekte sind aber keine originäre Aufgabe der Theater. Es ist daher zwingend den Bereich der kulturell-ästhetischen Bildung in den Theatern so auszustatten, dass diese Aufgabe, nicht wie bisher, nur zu Lasten des Inszenierungsangebotes wahrgenommen werden kann. Leider ist es nicht gelungen, diesen Aspekt in den Theaterverträgen mit dem Land einfließen zu lassen.

Das Puppentheater Magdeburg ist nicht nur Theater für Kinder. Erwachsene haben 2012 immerhin 42 Prozent der Besucher ausgemacht. Liebäugeln Sie mit noch mehr großen Gästen?
Kempchen: Die Kinder erreichen wir über die Erwachsenen, also müssen wir Erwachsene auch von unserer Kunst überzeugen. Wir werden aber keinesfalls das Angebot für Kinder zugunsten Erwachsener verringern, sondern setzen perspektivisch auf eine gute Balance zwischen Kinder- und Erwachsenenpublikum.

Bernhardt: Wir richten unseren Blick verstärkt auch auf Jugendliche. Noch vor drei Jahren hatten wir ein Angebot für Kinder bis zehn und dann erst wieder ab 16. Diese Lücke wollen wir weiter schließen und planen Produktionen, die auch in den Abendspielplan für Erwachsene übergehen können.

"Wir begreifen uns durchaus als politisches Theater."

Wie gehen Sie theatralisch mit unserer heutigen Zeit um, die aus den Fugen geraten zu sein scheint?
Kempchen: Wir haben mit unserem Hausregisseur Moritz Sostmann zusammengesessen und beraten, wie wir schärfer werden können mit unseren Inszenierungen, um uns diesen Problemen, den Ängsten der Menschen, ihren Unsicherheiten noch stärker zu stellen. Ein Krisenherd jagt den anderen, das können und wollen wir nicht außer Acht lassen.

Bernhardt: Unsere Inszenierung von Manns "Untertan" beispielsweise ist hochaktuell. Nach oben buckeln und nach unten treten. Wir wollen zeigen, wie die Mechanismen funktionieren, wenn ein Land in den Krieg rennt. Wir begreifen uns durchaus als politisches Theater, weil es unser Ziel ist, humanistische Gedanken zu vermitteln. Vielleicht haben wir durch das Medium Puppe einen leichteren Zugang zu schweren Stoffen. Mit der Puppe erschaffen wir eine Überhöhung der handelnden Charaktere.

Mit der Eröffnung der Villa P. vor zwei Jahren und der Einrichtung der Figurenspielsammlung ist für Sie ein Traum Realität geworden. Was erträumen Sie sich noch für Ihr Haus?
Kempchen: Mit dem Entstehen der Sammlung ist das Ziel formuliert worden, hier ein Figurentheaterzentrum für Mitteldeutschland zu etablieren.

Mit Sammlung, Theater, Jugendkunstschule, Festival und Kinderkulturtagen haben wir, um dieses Ziel zu erreichen, wichtige Säulen aufgestellt. Das alles wird von uns betreut, aber eine wissenschaftliche Arbeit, das Archivieren und Katalogisieren, das können wir momentan nicht leisten. Bis zum Ende meiner Intendanz möchte ich sagen können: Schaut, hier in Magdeburg existiert ein mitteldeutsches Figurentheaterzentrum. Bisher ist es nur räumlich da.