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Interview mit Kultusminister Stephan Dorgerloh "Wichtig ist für mich, dass es gerecht zugeht"

28.05.2011, 04:30

Seit Jahren wird bei Kultureinrichtungen gespart, ebenso lange warnen Kunst- und Kultuschaffende vor einem Abbau kultureller Grundwerte und der drohenden Schließung von Kulturstätten. Über Theaterverträge, die Verteilung von Fördermitteln und künftige Strategien sprachen Grit Warnat und F.-René Braune mit Kultusminister Stephan Dorgerloh (SPD).

Volksstimme: Herr Minister, welche kulturellen Vorlieben haben Sie?

Stephan Dorgerloh: Ich bin ein begeisterter Chorsänger und habe, wo es ging, immer in der Freizeit gesungen - im Motettenchor Rostock, im Domchor Berlin, zuletzt in Wittenberg. Wenn es die Zeit zulässt, will ich gerne auch in Magdeburg in einem Chor mitsingen.

Volksstimme: Sie haben eine gute Auswahl.

Dorgerloh: Außer von klassischer Musik bin ich auch ein großer Fan moderner Architektur. Ich war im Vikariat in Chicago und bin begeistert von diesem Eldorado moderner Architektur - die ja übrigens auch in Sachsen-Anhalt mit dem Bauhaus eine große Tradition hat. Andererseits kann ich mich auch für Bauten an der Straße der Romanik begeistern. Aber ich lese auch gern und liebe das Theater. Erst kürzlich las ich Tellkamps "Turm" und sah mir die Inszenierung in Potsdam an.

"Zuschauerzahlen sind nicht das alleinige Kriterium"

Volksstimme: Fühlen Sie sich bei dieser Nähe zum Gesang, zur Architektur, zur Literatur eher als Kultus- denn als Bildungsminister?

Dorgerloh: Das kann und will ich nicht trennen. Das Ministerium steht für die enge Verbindung von Kultur und Bildung. Wir wollen die Bezüge zwischen beiden Themenfeldern lebendig halten und nicht separieren. Die wechselseitige Beziehung von Kultur und Bildung soll hier gelebt werden.

Volksstimme: Wenn Sie gern ins Theater gehen, können Sie aus einem breiten Angebot wählen. Wir leisten uns in Deutschland eine große Theatervielfalt.

Dorgerloh: Das ist richtig. Diese Vielfalt ist geschichtlich gewachsen. Sie resultiert aus der deutschen Kleinstaaterei, als fast jeder Fürstenhof und jede Residenz ein eigenes Theater hatten.

Schlagen Sie mal einen Ring um Dessau und schauen Sie, welche Theater Sie binnen einer Stunde erreichen: Bühnen in Berlin, Potsdam, Magdeburg, Halle, Leipzig. Das ist einzigartig.

Volksstimme: Deutschland hat auch eine ziemlich einzigartige Form der staatlichen Theaterförderung. Halten Sie unser System für angemessen?

Dorgerloh: Lassen Sie mich mit einem Beispiel antworten. Am Puppentheater Magdeburg wird fast jeden Tag gespielt, mitunter zwei Vorstellungen. Die Auslastung sucht ihresgleichen. Das Puppentheater zielt auf alle Altersstufen. Das alles ist sehr vorbildlich. Und trotzdem muss jede Karte noch subventioniert werden.

Volksstimme: Ihre Vorgängerin Birgitta Wolff hatte ein Arbeitspapier vorgelegt, nach dem Theater mit einer Grundfinanzierung ausgestattet werden sollen und eine Zusatzfinanzierung nach bestimmten Parametern erhalten können. Kurzum: Hohe Besucherzahlen würden auch mehr Geld bedeuten - das Puppentheater könnte sich freuen. Denkt so auch der neue Kultusminister?

Dorgerloh: Zuschauerzahlen sind ein wichtiges, aber nicht das alleinige Kriterium. Es gibt für Museen, Theater, Festivals eine ganze Reihe von Kriterien, die wir anlegen müssen, um etwas als erfolgreich definieren zu können. Da wäre zunächst einmal das Qualitätskriterium, aber auch die Frage nach Innovation und welche Zielgruppen man mit einer Produktion erreicht.

Volksstimme: Kritiker solch einer erfolgsabhängigen Förderung befürchten eine Verflachung des kulturellen Angebotes.

Dorgerloh: Man kann nicht an den Besuchern vorbei Kunst und Kultur machen. Man sollte aber auch keinesfalls allein auf Mainstream-Produktionen setzen. Deshalb müssen wir sehr genau schauen, welche Anreize wir womit setzen wollen. Diese Anreize müssen gut überlegt sein und wir werden deshalb auch mit den Theatern darüber reden.

Volksstimme: Das Papier Ihrer Vorgängerin hat also Denkanstöße hinterlassen, die nicht vom Tisch sind?

Dorgerloh: Wir müssen diese Diskussion führen, unabhängig von dem Papier. Auch im Zusammenhang mit den neu aufzusetzenden Theaterverträgen. Es geht ja nicht nur darum, dass das Land eine bestimmte Fördersumme gibt, sondern dass auch bestimmte Ziele definiert werden.

In einem Kulturkonvent wollen wir klären, wie wir mit all diesen Fragen perspektivisch umgehen. Da werden wir fragen: Wie sieht die Kulturlandschaft in Sachsen-Anhalt vor dem Hintergrund der demografischen und der finanziellen Entwicklung im Jahr 2025 aus? Es geht darum, wie wir Kultur in der Breite und in der Spitze finanzieren können.

Volksstimme: Es gab zu Bildungsfragen einen Bildungskonvent, der sich lange hingezogen hat. Wie können Sie sich zeitlich einen Kulturkonvent vorstellen?

Dorgerloh: Er wird schneller einberufen und nicht so lange dauern. Wir werden bereits im September den Konvent eröffnen und ich hoffe, dass im September 2012 schon größtenteils Empfehlungen vorliegen.

Volksstimme: Das ist schon zu spät für die neuen Theaterverträge und die Theaterförderung.

Dorgerloh: Richtig. Wir werden deshalb noch vor der Sommerpause mit den Trägern und den Intendanten reden. Wir wollen mit der Situation konstruktiv umgehen.

"Wir brauchen die Ideen der Akteure vor Ort"

Volksstimme: Das wird nicht einfach sein. Das Theater Magdeburg und die Stadt als Träger haben bereits mehr Geld vom Land gefordert. Auch andere Theater stöhnen unter Kostensteigerungen.

Dorgerloh: Grundsätzlich wollen wir an den langfristigen Förderverträgen festhalten. Sie haben sich bewährt. Theater sind große Personalkörper. Sie brauchen für ihre Planungen entsprechende Vorläufe. Dies brauchen die großen Stiftungen auch, beispielsweise für Ausstellungen. Dementsprechend verlässlich muss die finanzielle Planung sein.

Ich glaube, dass wir im Kulturkonvent klären müssen, wie es gelingen kann, die Zielgruppen bei den Zuschauern zu verbreitern, wie mehr Leute ins Theater kommen, ohne ein Theater gleich infrage zu stellen.

Volksstimme: Theater, Orchester, Museen, wen wollen Sie einbeziehen?

Dorgerloh: Neben den Repräsentanten der einzelnen Kultursparten insbesondere die verschiedenen Träger sowie Vertreter aus Politik und Wirtschaft. Wir wollen aber auch die Rezipientenseite, insbesondere die junge Generation, im Konvent vertreten wissen. Wir werden das in verschiedenen Arbeitsgruppen organisieren. Wir brauchen die Ideen der Akteure vor Ort, weil wir Schwerpunkte setzen müssen.

Volksstimme: Haben Sie nicht Angst vor Lobby-Interessen?

Dorgerloh: Wir dürfen nicht gegeneinander agieren. Denn eines ist klar: Was wir zum Beispiel den Theatern mehr geben, das haben die Bibliotheken nicht, was der Stiftung Lesen gegeben wird, kann dem Weltkulturerbe fehlen. Ich wünsche mir eine gemeinsame Sicht auf ein Landeskulturkonzept. Damit hätten wir unglaublich viel geschafft.

"Positive Konkurrenz kann Kräfte freisetzen"

Volksstimme: Als die Magdeburger Theaterintendantin Karen Stone von Amerika nach Deutschland kam, sprach sie von den vielen privaten Sponsoren, die dort für Kultur geworben werden mussten und dass sie sich wirtschaftliches Engagement auch hier erhoffe. Ist es realistisch, über Sponsoring im Kulturbereich etwas zu erreichen?

Dorgerloh: Ich sehe schon Möglichkeiten. Aber man muss sich die Stiftungslandschaft bei uns ansehen und fragen, wie wirtschaftliche Beteiligung aussehen kann. Den Ansatz von Frau Stone würde ich aber gern unterstützen. Ich denke, wir müssen uns bei den Finanzen perspektivisch stärker dreisäulig aufstellen. Da sind die Einnahmen, die Zuschüsse und das Sponsoring/Fundraising. Natürlich gibt es in Amerika viele Bühnen, die ohne einen öffentlichen Cent auskommen müssen, andererseits findet man dort aber eine ganz andere Stiftungslandschaft vor als bei uns. Stiftungen in Amerika übernehmen einen Teil der Aufgaben, die bei uns der Staat hat. Deshalb gibt es dort auch ein anderes Steuersystem. Wir würden gern die angelsächsischen Steuern zahlen, aber die deutschen Förderungen haben. Das passt nicht zusammen.

Volksstimme: Sie gehören dem Kuratorium der Internationalen Martin-Luther-Stiftung an. Welche Erfahrungen haben Sie mit Stiftungsarbeit gesammelt?

Dorgerloh: Es ist eine junge Stiftung, die versucht, mit privatem Kapital Programme auf die Beine zu stellen. Auf der anderen Seite wollen wir auch Leute dafür gewinnen, eine Stiftung aufzubauen. Wir haben zu wenige Stiftungen und müssen deshalb überlegen, wie wir solche Einrichtungen wachsen lassen können. Mit der Martin-Luther-Stiftung wird versucht, privatwirtschaftliches Engagement auch überregional für dieses Thema zu generieren.

Volksstimme: Einer der Vorwürfe aus Magdeburg an Kultusminister Olbertz war eine gewisse Nähe für Halle und eine daraus resultierende Bevorzugung der Saalestadt gegenüber Magdeburg. Ist das für Sie ein Thema?

Dorgerloh: Wenn es eine positive Konkurrenz gibt, dann ist das gut. Denn eine positive Konkurrenz kann etwas Belebendes haben und produktive Kräfte freisetzen. Dann können auch beide Standorte davon profitieren. Produktive Konkurrenz heißt auch, dass man schaut, wo es Möglichkeiten der Zusammenarbeit gibt und dass man dem anderen auch seinen Erfolg gönnt. Das betrifft nicht nur Halle und Magdeburg, sondern generell den Umgang mit kulturellen Schwerpunkten bei uns im Land.

Ich glaube, wir tun gut daran, es mit der Profilierung nicht zu übertreiben. Wichtig ist für mich, dass es gerecht zugeht.

Volksstimme: Eines der zentralen Argumente der Kritiker ist, dass mit einem großen finanziellen Aufwand für die Theater nur ein kleiner Teil der Bevölkerung subventioniert wird. Wie argumentieren Sie?

Dorgerloh: Diese Frage um Subventionen steht, aber Kultur in ihrer ganzen Breite, von der Soziokultur bis zur Hochkultur, ist längst nicht mehr der weiche, sondern der sogenannte harte Standortfaktor. Kulturangebote machen das Leben in einer Region lebenswerter. Investoren fragen danach. Theater spielen dabei eine wichtige Rolle. Wenn wir auf der einen Seite Ansiedlungen mit Fördermitteln unterstützen, dürfen wir auf der anderen Seite nicht bei der Kultur sparen.

Volksstimme: In Ihren Zuständigkeitsbereich fällt die Kunststiftung des Landes, die unter anderem für ihr Finanzgebaren vom Landesrechnungshof gerügt wurde. Der Landtag hatte sich mit dem Thema beschäftigt. Jetzt ist es auch Ihres.

Dorgerloh: Der Abschlussbericht des Landesrechnungshofes hat uns in diesen Tagen erreicht und wird gegenwärtig im Ministerium geprüft. Wir werden das Thema im Kulturausschuss des Landtages und im Stiftungsrat beraten und uns mit den Empfehlungen auseinandersetzen.

Solange müssen wir abwarten. Wir werden aber gleichwohl den Umzug der Stiftung in das Neuwerk 11 in Halle zum Anlass nehmen, die Stiftung 2.0 zu starten, und den Umzug als Neustart für Transparenz und mehr Kommunikation nutzen. Die neue Website der Kunststiftung ist ein Beleg dafür. Das neue Haus soll ein Ort werden für Dienstleistung und Beratung, das Künstler hoffentlich auch für sich in Besitz nehmen. Es ist mir wichtig, dass wir dort einen Schritt vorankommen.

"Alle diese Stimmen haben mein volles Verständnis"

Volksstimme: Zurzeit melden sich besonders viele Kultur- und Kunstschaffende zu Wort. Ihre warnenden Stimmen werden lauter und waren wohl noch nie so oft zu hören wie in den vergangenen Monaten. Glauben Sie, dass man im Kulturbereich künftig den Gürtel enger schnallen muss?

Dorgerloh: Warnende Stimmen sind oft Rufe nach Ressourcen. Es geht vielfach darum, ob noch genügend Gelder da sind für die wichtige Arbeit, die getan wird. Da haben alle diese Stimmen auch mein volles Verständnis.

Die zentrale Frage ist, wie wir das gesellschaftlich organisieren. Und auch hier haben wir drei Säulen: das gesellschaftliche und wirtschaftliche Engagement, das finanzielle Engagement von Ländern und Kommunen. Und drittens jeden Einzelnen und was er bereit ist, für eine Theaterkarte oder Vereinsmitgliedschaft auszugeben. Wir haben in Sachsen-Anhalt für den Haushalt 2012 eine Null verabredet. Es gibt eine Schuldenbremse. Und wir haben zurückgehende Einnahmen in den nächsten Jahren. All das muss austariert werden. Und da geht es auch um die große Frage, wie wir den Kulturreichtum, mit dem Sachsen-Anhalt gesegnet ist, mit den Mitteln, die wir haben, bewahren. Das ist eine gigantische Aufgabe, aber auch eine reizvolle.