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Von Heinz Kurtzbach Alles schick

07.04.2011, 04:29

Es gibt Moden, da wird man automatisch an das deutsche Liedgut erinnert. An echtes, deutsches Liedgut: "Ich weiß nicht, was soll es bedeuten …"

Ja, was soll es bedeuten, wenn man jemandem begegnet und der fragt einen heiter und unbeschwert: "Na, alles schick?" Was soll das bedeuten? Nichts. Ist ja auch egal, ist ja unverbindlich wie früher das "Na, wie geht’s, wie stehts?" Was sagte man da, selbst wenn die ganze Welt mal wieder ein irdsches Jammertal war? "Gut geht’s". "Na denn", wurde geantwortet, und fertig war die Laube. Und heute? "Na, alles schick?" fragte ich also, ganz auf der sprachlichen Höhe der Zeit, als ich an Horstens Theke im Sportlereck Kalle traf und ich erwartete das obligatorische "allet schick"! Und was sagte Kalle? "Nischt is schick. Nischt!" Aber hallo! Man will ja nicht neugierig sein, aber – hat er wieder Krach mit Trudchen, seiner besseren Hälfte? Hat der FC verloren? Ist er nicht durch den TÜV gekommen?

"Wat is‘n los?" Wahlkampf ist. "Und det", erklärte er, "is nich mehr zum Aushalten." In der Zeitung, der mit den großen Lettern, habe er gelesen, dass jetzt der Bundestagswahlkampf begonnen habe, weil in Stuttgart nun die Grünen regieren – und "die Zeitung muss det ja schließlich wissen".

Der Bundestagswahlkampf! Wo doch der Bundestag erst 2013 gewählt wird. Wahlkampf! Tag für Tag; Woche für Woche; Monat für Monat; Jahr für Jahr. Und Kalle ist Wahlkampfhelfer. Plakate kleben, am Wochenende am Markt stehen und sich anpflaumen lassen von Ignoranten, die keine Ahnung von Politik haben, Kugelschreiber und Luftballons verteilen und so. Eigentlich hatte er auf ein paar ruhige Monate gehofft, nachdem in Magdeburg alles vorbei war. Und nun das. Fast drei Jahre Wahlkampf – "wat meinste, wat Trudchen dazu sagt?"

Die Frage war natürlich rein rhetorisch. Alle an der Theke wussten, was Trudchen dazu sagen würde. Am anderen Ende der Theke stand ein Fremder, leicht angebräunt. "Da haben die Spanier es besser", erzählte der plötzlich. "Wieso"? Kalle spitzte die Ohren. Also, der Fremde kam gerade von den Kanaren. Da sind am 22. Mai Kommunalwahlen. Und vom 29. März bis zum 6. Mai, erzählte der Fremde, macht der Wahlkampf da Pause. Ist einfach verboten. Keine Wahlkampfveranstaltungen, keine Plakate, keine Parteienwerbung nirgendwo. "Und Ruhe ist". Fünf Wochen Waffenstillstand. Die Spanier wollen den Wahlkampf konzentriert, kurz und knapp – und billig.

Man schaute ungläubig, aber der Fremde machte einen ganz seriösen Eindruck. "Wieso nicht auch in Deutschland?" fragte einer. Wäre doch mal was. Hätten wir unsere Ruhe und die Parteien auch – und sie hätten Zeit, fleißig zu arbeiten anstatt sich im Dauerwahlkampf zu raufen.

"Moment mal!" Auf Kalles Stirn stand eine steile Falte, er legte los. So ginge es ja nun nicht. Man kann doch nicht alles und jedes verbieten. Erst das Rauchen bei Horst und nun den Wahlkampf? Wollen wir den Reglementierungsstaat pur? Kalle erregte sich. "Schließlich", dozierte er, "müssen die Parteien doch ihre unterschiedlichen Positionen deutlich machen können, damit der Wähler …" "… die anderen wählt", warf Horst ein. Und wenn schon. Deutschland ohne Wahlkampf – nicht auszudenken und nicht mit Kalle. Nicht mit den deutschen Parteien, und wahrscheinlich nicht mal mit Trudchen. Was scheren uns die Spanier? Drei Jahre Wahlkampf? Na und? "Hat schon alles seine Richtigkeit", sagte Kalle. Was sein muss, muss sein. Alles schick.