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Schlossfestspiele Vom Bösen inspiriert

„Der Freischütz“ ist Mittelpunkt der Wernigeröder Schlossfestspiele. Maximilian Ponader spricht über seine Inszenierung.

Von Ivonne Sielaff 19.07.2016, 01:01

Was macht für Sie als Regisseur den Reiz der Oper „Der Freischütz“ aus?

Maximilian Ponader: Den „Freischütz“ will ich schon seit Jahren machen. Das ist Zuckerschlecken für mich. Ich kann mich als Regisseur und Bühnenbildner austoben, habe sehr viele Ideen, die im Produktionsprozess nun Schritt für Schritt Wirklichkeit werden. „Der Freischütz“ ist eine sehr vielfältige Oper mit vielen Kontrasten: das Irdische, die Lebenslust der Menschen, das Volksleben – und dagegen die mystische, dämonische, teuflische Welt. Die Oper enthält großartige plastische musikalische Räume. Als Regisseur muss ich nur zupacken.

Wie haben Sie sich der Oper genähert?

Ich habe sie mir angehört und gelesen, habe sie auf mich wirken lassen. So gehe ich grundsätzlich vor, um ein Stück kennenzulernen, um Zugang zu finden. Ich stelle mir vor, wie ich mit Komponist Carl Maria von Weber und Johann Friedrich Kind, der das Libretto verfasst hat, an einem Tisch sitze. Es ist wie Teamarbeit. Ich will da nichts reinpressen, sehe das Stück als Ganzes. Aber selbstverständlich fließen meine Individualität und meine Weltsicht ein. Denn ich inszeniere als Mensch von heute für ein Publikum von heute.

Die Oper wurde im Jahr 1821 uraufgeführt. Wie wollen Sie die Zuschauer mit einem fast 200 Jahre alten Stück begeistern?

Gute Opern sind zeitlos. Es geht um Menschen und das, was Menschen zu sagen haben – egal zu welcher Zeit. Zudem ist die Oper inhaltlich sehr modern.

Woran machen Sie das fest?

Die Tradition des Probeschusses wird durch den Eremiten abgeschafft. Am Ende wird nicht bestraft, sondern verziehen – zumindest partiell. Das ist modern. Aber in dem Stück wird nicht nur dem Guten im Menschen gehuldigt. Gleichzeitig wird das Dämonische in einer damals absolut modernen musikalischen Sprache auf die Bühne gebracht. Und das Böse inspiriert mich als Künstler.

Heißt das, Sie wollen das Publikum erschrecken?

Ich will es zum Erschaudern bringen. Mir geht es dabei nicht um Schockeffekte und ekelhaften Horror. Die Zuschauer sollen nachempfinden, was Max fühlt, wenn er nachts in die Wolfsschlucht geht. Es wird sehr stimmungsvoll, so viel kann ich verraten. Das Publikum wird selbst zu den Geistern.

Sie beziehen die Zuschauer in die Inszenierung ein?

Ich habe die Tendenz, das Publikum aus seiner Passivität herauszuholen. Klappe halten und macht mal – das gibt es bei mir nicht. Zwischen Darstellern und Zuschauern herrscht eine Kommunikation auf Augenhöhe. Max steigt in die Wolfsschlucht hinab - bei mir in das Publikum, dem unheimlichen Ort für alle Opernfiguren. Dort merkt er, dass das ein ganz realer, ungefährlicher Ort ist, wenn man ihn „bei Licht“ betrachtet. Er hat die Möglichkeit, über sich hinauszuwachsen, ein moderner Mensch zu werden, der sich nicht in diffusem Aberglauben verfängt.

Was ist für Sie die Kernaussage des Stückes?

Mach dich frei von Dämonen, spiel mit ihnen. Überwinde deine Ängste. Und lebe spielerisch den Dämon in dir aus.

Übernehmen Sie deshalb die Rolle des dämonischen Samiels?

Es macht mir höllischen Spaß, diese Figur zu spielen. Samiel ist aber bei mir nicht der Bösewicht. In Unkenntnis der Opernfiguren ist er der Teufel. Aber er ist der Spielleiter, Regisseur. Die Instanz über der Ebene der anderen Figuren, von diesen als Gott oder Teufel benannt. Ein unsichtbares Wesen für die meisten, das in deren Leben hineinwirkt. Er entscheidet beispielsweise über Glück und Pech beim Schuss. Wie der Bühnentechniker, der für die Effekte zuständig ist.

Bei Ihrer „Don Giovanni“-Inszenierung vor drei Jahren in Wernigerode war Weiß die vorherrschende Farbe. Sogar die Musiker waren weiß gekleidet. Worauf können sich die Zuschauer diesmal freuen?

Optisch wird es sehr waldig – mit vielen Grüntönen. Natürlich will ich keinen Wald aufbauen, keine tausend Bäume auf die Bühne bringen. Bei mir symbolisieren die Figuren den Wald - der Wald als Gesellschaft. Das Volk durch alle Generationen steht für die normalen Bäume. Der Eremit, die moralische Instanz, ist ein alter kahler Baum. Der Chor wird waldig. Meine Vorgabe für die Kostüme ist: Mottoparty - Baum des Waldes. Und ich habe bei der ersten szenischen Probe mit dem Chor schon tolle Kreationen gesehen.

Sind aufwendige Kulissen geplant?

Ich habe das Schloss. Da brauche ich kein großes zusätzliches Bühnenbild. Wir werden das Schloss bespielen, die Fenster, die Treppen, die Türen und vielleicht den Turm.

Die Liebenden Agathe und Max finden zum Schluss zusammen. Der intrigante Kaspar wird bestraft, er muss sterben. Wie wichtig ist Ihnen ein Happy End?

Das Böse, das bestraft werden muss, gibt es bei mir nicht. Man verbannt das Böse nicht aus der Welt, indem man es bestraft. Mir geht es darum, ein Opernfest zu veranstalten, die Gemeinschaft zu leben. Mir geht es um das Gefühl, ein Teil der Gemeinschaft zu sein. Denn in der Gemeinschaft lösen sich viele Probleme von allein. Wenn sich den Zuschauern das erschließt, ist das für mich ein Happy End. Und wenn sie sich freuen, dass Kaspar nicht als Leiche endet.

Kaspar stirbt nicht?

Oh doch, er stirbt einen grausamen Bühnentod – ein Fest für den Sänger des Kaspar und für alle Zuschauer. Aber das ist alles nur Theater. Am Ende steht er wieder auf.