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Ermittlungsfehler Eine Unfallflucht, aber keine Beweise

Fehlende Protokolle, unbrauchbare Spuren, verschwundene Asservate - bei der Gardeleger Polizei ging offenbar so einiges daneben.

Von Gesine Biermann 27.03.2017, 21:00

Gardelegen l Ist er selbst gefahren in jener Nacht und hat sein Auto gegen einen Hydranten gelenkt? Oder saß er gar nicht am Steuer? Ist ihm sein Audi vielleicht gestohlen worden, oder hat er ihn möglicherweise ja an einen Bekannten verborgt und will denjenigen nicht belasten? Möglicherweise wird das nie jemand erfahren. Denn der 27-jährige Autobesitzer schweigt im Gericht. Und als Angeklagter darf er das.

Ob er im vergangenen Sommer einen Unfall verursacht hat oder nicht, muss ihm nämlich bewiesen werden. Angesichts der darauf folgenden Polizeiarbeit scheint das aber wenig wahrscheinlich. Denn offenbar lief in Sachen Beweissicherung so ziemlich alles schief, was schief laufen konnte. Asservate blieben einfach liegen, kriminaltechnische Spuren wurden durch einen nachträglichen Kontakt mit dem Halter unbrauchbar – waren aber ohnehin nie ausgewertet worden. Als Beschuldigter wurde der junge Zeitsoldat weder verhört, noch belehrt, zumindest war so etwas nie protokolliert worden.

Lediglich ein Augenzeuge könnte ihn nun noch belasten. Der allerdings hatte ihn zum einen nur von hinten im Dunkeln gesehen – und außerdem weilt der Mann zurzeit auf einem anderen Kontinent. Ihm wurde vor seiner Abreise durch die Polizei aber auch nie ein Bild des Angeklagten vorgelegt. Kurz: Es gibt keinerlei Beweise dafür, dass der Angeklagte selbst fuhr.

Dabei hatte der junge Mann unumwunden zugegeben, dass das es sein Auto sei, das jemand in einer warmen August-Nacht 2016 in Jeggau gegen einen Hydranten, einen Baum und einen Zaun gelenkt hatte. Als die Beamten kurz darauf am Unfallort eintrafen, war vor Ort vom Fahrer allerdings nichts mehr zu sehen. Einige Beamte hatten noch die unmittelbare Umgebung abgesucht. Ein Hundeführer war gerufen worden. Ohne Ergebnis. Der Fahrer blieb verschwunden. Und auch der Halter konnte zunächst nicht aufgefunden werden.

Als solcher war er am Folgetag indes im Gardeleger Revierkommissariat erschienen und hatte darum gebeten, aus seinem Auto wichtige Papiere holen zu dürfen, die er dringend benötige. Dem Wunsch hatten die Beamten entsprochen. Ungehindert hatte der Halter, obwohl er zu dem Zeitpunkt zumindest als möglicher Fahrer galt, sein Auto öffnen dürfen. Und zwar bevor die kriminaltechnischen Untersuchungen erfolgt waren. Was genau er dabei berührt hatte, wo er anfasste, was er verstellte, daran konnten sich anschließend keiner der Beamten erinnern. „Er hat uns die Papiere gezeigt, die er rausgenommen hat“, so viel wusste eine Beamtin noch. Welche genau? Auch quittieren musste er nichts, nur seine Hose ausziehen. Die habe er am Vortag getragen, bestätigte der Halter den Beamten. Auch einem Alkoholtest stimmte er bereitwillig zu. Ergebnis: 0,0 Promille. Auch verhört oder gar belehrt wurde er nicht. Richter Axel Bormann schüttelte nur immer wieder den Kopf und setzte schließlich einen Fortsetzungstermin an.

Neue Zeugen, neue Erkenntnisse? Mitnichten! Zwar war der Pkw später noch umfassend kriminaltechnisch untersucht worden. Das ergab während des Folgetermines die Zeugenaussage des zuständigen Technikers. Die Protokolle und Proben verschwanden dann indes in einem Gardeleger Polizeiaktenschrank. Sein Kollege von der Kriminaltechnik habe ihm bestätigt, dass er die „Sachen gesichert“ habe, so der zuständige Beamte. „Die liegen alle im Schrank in meinem Zimmer.“ Er habe immer auf die Aufforderung der Staatsanwaltschaft gewartet, dass diese einzusenden seien, erklärte er weiter.

„Wir können viel, aber wir können nicht hellsehen“, kommentierte Staatsanwalt Thomas Kramer diese Aussage. Wenn man in der Staatsanwaltschaft nicht wisse, dass es Asservate gebe und eine kriminaltechnische Spurensicherung erfolgt sei, könne man sie auch nicht anfordern. „Wir sind doch alle davon ausgegangen, dass der Angeklagte der Fahrer war“, erwiderte der Polizist kleinlaut. Das hatte der aber weder irgendwo zu Protokoll gegeben, geschweige denn unterschrieben.

Und so gab es an diesem Tag von Axel Bormann zwar kein Urteil in Sachen Unfallflucht, dafür aber eines in Sachen Polizeiarbeit – mit ziemlich miserablen Noten: Als „mangelhaft und schlecht“ beurteilte Bormann nämlich die Leistung einzelner Beamter. Im Ergebnis erhielt der Angeklagte während der Hauptverhandlung seinen bereits eingezogenen Führerschein vorerst zurück. Zu wenig spricht derzeit gegen ihn.