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Amtsgericht Einstellung „wegen Besoffenheit“

25-jähriger mutmaßlicher Räuber profitierte davon, dass alle Zeugen betrunken waren.

Von Gesine Biermann 26.10.2015, 20:00

Gardelegen l Für ihn stand eine Menge auf dem Spiel, denn über sein Schicksal entschieden vor wenigen Tagen im Gardeleger Amtsgericht ein Berufsrichter und zwei ehrenamtliche Richter. Dass er am Ende quasi mit dem sprichwörtlichen blauen Auge davonkam, verdankt ein 25-jähriger, wegen Raub und Körperverletzung angeklagter Gardeleger nur der Tatsache, dass nicht nur er, sondern auch fast alle Zeugen am Tattag offensichtlich komplett betrunken waren.

An jenem Abend, kurz nach Weihnachten im vergangenen Jahr, trafen sich bei dem jungen Arbeitslosen nämlich drei mehr oder weniger gute Freunde zu einem Umtrunk. Aus dem anfänglich lustigen Abend wurde später allerdings ein Streit und am Ende hatte einer von ihnen, ein junger Handwerker, mehrere Verletzungen und dazu einen Geldschein weniger in der Hosentasche. Und er zeigte den Vorfall schließlich auch bei der Polizei an.

Über das, was in dieser Nacht tatsächlich vorgefallen war, versuchte sich Strafrichter Axel Bormann allerdings mehr oder weniger vergeblich ein Bild zu machen. Denn kaum eine der Aussagen glich der anderen. Und daran waren ohne Zweifel auch die zwei Flaschen Schnaps und mehrere Flaschen Bier schuld, die innerhalb weniger Stunden konsumiert wurden. Wie sie besorgt wurden, daran konnten sich alle Beteiligten schließlich auch noch recht genau erinnern. So hatte einer der Zeugen die erste Flasche Schnaps gleich mitgebracht. „Die zweite Flasche haben wir uns dann an der Tanke gekauft“, erinnert sich der Angeklagte. Das Geld habe man zusammengelegt, nur der spätere Geschädigte habe sich nicht daran beteiligen wollen.

Ähnlich schildert es schließlich einer der Zeugen – der einzige, der nüchtern geblieben war. Er hatte die drei anderen jungen Männer an diesem Abend schließlich auch zur Tankstelle gefahren, zunächst um die Vorräte nachzufüllen. Und danach hatte er auf Bitten des Geschädigten die Passagiere in seinem Auto auch noch zu drei verschiedenen Bordellen chauffiert. In zwei der Etablissements war aber offenbar so kurz nach den Feiertagen niemand zugegen. In einem Bordell in der Innenstadt wollte man die jungen Herren schließlich nicht haben wollen – so zumindest beschreibt es der Zeuge.

Der Geschädigte wiederum versichert, dass man sich männlicherseits entschlossen habe, auch dieses Bordell zu verwerfen: Die Dame am Eingang habe ihnen „nicht zugesagt. Und wir waren auch zu viele.“ Unverrichteter Dinge zog man also zu viert wieder ab. Schließlich war es auch schon spät. Der einzig nüchterne Beteiligte fuhr müde nach Hause, und nur noch zu dritt betraten schließlich der Angeklagte, ein weiterer Zeuge und der spätere Geschädigte wieder die Wohnung des Angeklagten: „Wir wollten nur noch eine rauchen.“

Was dort dann passierte, darüber gingen die Meinungen schließlich komplett auseinander. Der Angeklagte zum Beispiel will sich daran erinnern, dass der später Verletzte die in der Tankstelle besorgte Flasche Schnaps einfach mitnehmen wollte. Daraufhin habe es eine Rangelei in seinem Wohnzimmer gegeben, bei der der Tisch kaputt ging. „Anschließend wollte er in mein Bad pinkeln – allerdings nicht ins Klo. Und dann hat er mich noch in den Daumen gebissen.“ Weil er so betrunken gewesen sei, sei der Geschädigte schließlich in die Dusche gefallen. Die sei zerbrochen und dabei habe sich der Mann dann möglicherweise auch verletzt.

Der Geschädigte schildert die Vorkommnisse später dann wiederum nach seinen Erinnerungen: Auch er wisse zwar noch, „dass was umgefallen ist“, gibt er zu. Ins Bad sei er allerdings nicht freiwillig gegangen: „Der hat mich in die Dusche reingezogen.“ Die Verletzungen, die wenig später auch eine Polizistin wahrnahm, seien ihm erst kurz darauf zugefügt worden, als alle schon die Wohnung verlassen hätten: „Er hat mich unten dann erst richtig geschlagen.“ Zudem habe der Angeklagte in seine Hosentasche gegriffen und einen Geldschein herausgezogen. Später habe er dann festgestellt, dass es sich dabei um zehn Euro gehandelt habe.

Weil er daraufhin sein Handy herausgeholt habe, um damit die Polizei anzurufen, habe ihm der Angeklagte das Handy aus der Hand gerissen und es weggeworfen. Dann schließlich sei er zum gegenüberliegenden Haus des Zeugen gelaufen, um auch noch sein Fahrrad an sich zu bringen.

Doch obgleich sich der Geschädigte laut seinen Aussagen an jedes Detail der Schlägerei erinnert, kann er andere Abläufe des Abends überhaupt nicht mehr zuordnen. So weiß er zum Beispiel nicht mehr, wer den Alkohol bezahlt hat und wer im Auto wo gesessen hat. Widersprüchliche Angaben macht er auch hinsichtlich seines Gespräches mit der Polizei. So kann sich die Beamtin erinnern, dass er meinte sein Fahrrad verloren zu haben. Im Gericht indes versichert der Geschädigte, es sei ihm vom Anklagten gestohlen worden. Und auch der Zeuge, der eigentlich bis zum Schluss dabei war, kann oder will hier nicht weiterhelfen, kann oder will nichts gesehen haben, das vielleicht Licht ins Dunkel bringen könnte.

Am Ende kann oder will das allerdings auch der Richter offensichtlich nicht mehr: „Kann ich mir hier aussuchen, was richtig ist, oder was?“, fragt er frustriert in die Runde. Und am Ende will Bormann sich dann tatsächlich nichts aussuchen. Nach kurzer Absprache mit der Staatsanwältin stellt er das Verfahren, das für den Angeklagten durchaus auch im Gefängnis hätte enden können, einfach nach Paragraph 53 ein, „und zwar wegen allgemeiner Besoffenheit.“ Sie sollten, so empfiehlt er den drei einstigen Kumpels, „vielleicht mal nachdenken, was Sie so trinken. Für mich sind sie alle Alkoholiker, ohne wenn und aber“, und: „Ich glaube ich bin in einer Witzveranstaltung.“

Für „einen Witz“ hält am Ende auch der Geschädigte die Entscheidung: „Es kann also jeder jeden verpelzen und kommt so dabei weg. Das war ja nicht das erste Mal, fragen Sie mal den Zeugen, der hatte schon zwei mal ein blaues Auge von dem“, empfiehlt er dem Richter. Für Bormann ist das Verfahren an diesem Punkt allerdings längst beendet.