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Fachwerk Vorläufer heutiger Reihenhäuser

Aus dem 19. Jahrhundert und sind doch modern. Das sind Fachwerkhäuser in Halberstadts Judenstraße.

Von Sabine Scholz 30.09.2015, 01:01

Halberstadt l Manche alte Häuser offenbaren sehr moderne Ansätze. Jedenfalls dem, der sie zu erkennen vermag. In der Judenstraße zum Beispiel stehen beziehungsweise standen drei Häuser, die im frühen 19. Jahrhundert gleichzeitig errichtet worden waren. „Damit sind sie nicht nur ein Vorläufer der heutigen Reihenhäuser“, sagt Jutta Dick, Direktorin der Moses-Mendelssohn-Akademie. Die Häuser offenbarten noch eine weitere Überraschung: „Hier ist nach dem Gedanken gebaut worden, dass die Bewohner nach ihren Bedürfnissen Räume vergrößern oder verkleinern können.“

Die Baugutachten und die Funde während der Restaurierungsarbeiten in den Fachwerkhäusern belegten diesen Fakt. So sei das Fachwerk so errichtet worden, dass man relativ leicht Durchgänge schaffen oder wieder verschließen konnte, berichtet Dick. Die Gebäude dienten dabei nicht allein Wohnzwecken. Im Haus Judenstraße 26 befand sich auch das Ritualbad der jüdischen Gemeinde Halberstadts.

Dass es hier eine Gemeindemikwe gab, belegen ebenfalls Akten aus dem frühen 19. Jahrhundert. In den Vorstandsprotokollen der Gemeinde finden sich Beschwerden, dass die Mikwe in schlechtem Zustand sei und renoviert werden müsse. Auch von den Problemen, die Stelle der Mikwenwärterin neu zu besetzen, ist dort zu lesen. „Und als die Franzosen Anfang des 19. Jahrhunderts dort Soldaten einquartieren wollten, wandte sich die jüdische Gemeinde an die Militärverwaltung. Schließlich wird das Ritualbad vor allem von Frauen benutzt. Daraufhin wurde auf die Einquartierung der Soldaten verzichtet“, berichtet Jutta Dick.

Dass sie so viel über die Geschichte der Gebäude weiß, hat mit dem Museum zu tun, das hier inzwischen entstanden ist. Die Anfang der 1990er Jahre mehr oder weniger dem Verfall preisgegebenen Häuser gehören mit zur Moses-Mendelssohn-Akademie, die dort das Berend-Lehmann-Museum für deutsch-jüdische Geschichte und Kultur betreibt. Während die Häuser 26 und 27 saniert werden konnten, war das Haus Nummer 25 zwischen 1991 und 1993 abgerissen worden. Wohl ein Glücksfall im Nachherein, denn durch den notwendigen Neubau konnten Auflagen für den Museumsbetrieb erfüllt werden, die die historischen Gemäuer kaum ermöglicht hätten.

Zum Museum gehört das freigelegte Tauchbecken der Mikwe. Der Besucher blickt von einem Metallsteg in die gefliesten Kellerräume. „Wie das Bad Anfang des 19. Jahrhunderts ausgesehen hat, wissen wir leider nicht. Der Zustand heute dokumentiert das Gemeindebad nach einer grundlegenden Modernisierung“, sagt Dick. Ende des 19. Jahrhunderts war die Kellerdecke entfernt und ein Gewölbe aufgemauert worden. Der damals zuständige Architekt war Paul Groth, der auch das Städtische Hallenbad gebaut hatte. Groth lebte in Palästina, in Jerusalem war er am Bau der deutschen Erlöserkirche beteiligt. Der Kontakt nach Halberstadt kam wohl über Missionare der Neinstedter Anstalten zustande. Jedenfalls leitete Groth die Modernisierung der Mikwe. Da das Ritualbad von „lebendigem“ Wasser gespeist werden muss, also nicht durch durch ein Rohr fließen darf, tritt das Quellwasser durch ein Loch in den Fliesen in das Tauchbecken. In den Räumen daneben entstanden beheizte Wannenbäder für die Reinigung vor dem rituellen Bad. „Für die damalige Zeit war das ziemlich luxuriös“, sagt Dick.

In den 1950er Jahren wurde die Gewölbedecke eingeschlagen, um im Erdgeschoss wieder Wohnraum zu schaffen. Der Schutt landete im Tauchbecken. „Wir diskutierten 2001 gerade mit Kollegen anderer jüdischer Museen, ob man die alte Mikwe wieder freilegen sollte, als Bauleute zu uns kamen und sagten: ,Wir haben mal den Dreck da rausgeschippt.‘ Und sofort lief das Wasser“, erinnert sich Dick.