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Vergessen im Harz Ruinenschleicher in Thale gefeiert

Bewusst werden nicht die Schokoladenseiten gezeigt. Doch die bedrückenden Bilder von „Vergessen im Harz II“ treffen den Nerv des Publikums.

Von Wolfgang Schilling 28.05.2016, 13:53

Thale l Lange hat das einstmals größte Sommerhotel Deutschlands, das „Hotel Zehnpfund“ in Thale, nicht so viele Gäste gehabt wie zur Premiere des neuen Films „Vergessen im Harz II“ von der Leipziger Filmcrew Overlight.

Das flackernde Licht der Lüster im großen Festsaal mit verhängten Fenstern gab der Szenerie zur Premiere eine mystische und feierliche Atmosphäre. Etwa zweihundert Gäste im Alter zwischen 25 und 50 Jahren waren ausgewähltes Publikum. Hatten sie doch die Produktion des Streifens unterstützt, möglich gemacht.

In einer Geldsammelaktion auf Facebook (Crowdfunding) war es dem Team um Regisseur Enno Seifried und Produzent Tilo Esche zuvor gelungen, binnen kurzer Zeit sogar ein Mehrfaches der benötigten Summe einzuwerben. Die Gäste der Premiere in Thale reisten vor allem aus der Region Leipzig, Dessau, Bitterfeld, aber auch aus Burg und Bielefeld an.

Vor einem Jahr war der erste Teil von „Vergessen im Harz“ bereits mit viel Aufsehen und Beifall in der damals ebenfalls voll besetzten Rübeländer Baumannshöhle vorgestellt worden. Er zeigte bewusst nicht die Schokoladenseite des Harzes, wie sie der Harzer Tourismusverband vermarktet, sondern die durch Brände, Misswirtschaft und das Vergessen gezeichneten Ruinen.

Teil zwei widmet sich diesmal ehemaligen Hotels des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) der DDR und weiteren Großobjekten, die vor allem nach 1989 ins Abseits gerieten und verfallen.

Wie etwa die Johanniter-Heilstätte auf dem Ochsenberg bei Sorge, die wegen Nähe zur deutsch-deutschen Grenze ab 1961 als NVA-Heim genutzt und nach der Wende sofort geschlossen wurde. Eine Wiederbelebung als Ferienhaussiedlung misslang. Zu sehen sind weiter die Schierker Hotels „Hermann Duncker“ und „Heinrich Heine“ und ehemalige Mitarbeiter. In Gesprächen mit ihnen blitzt immer wieder auch eine aus heutiger Sicht eigenartig anmutende Heiterkeit des organisierten FDGB-Urlaubs in einer vom Grenzregime permanent überwachten Gegend auf.

Im „Heinrich Heine“ etwa tummelte sich damals DDR-Prominenz aus Kunst und Kultur wie Willi Schwabe, Heinz-Florian Oertel, Taddeus Punkt und Karl-Eduard von Schnitzler. Normalbürger hatten damals ohne Passierschein keinen Zutritt in das „Sperrgebiet“ nahe der Grenze.

Der Einbruch für die meist ausgelasteten FDGB-Heime kam dann nach 1989 so krass, dass viele Häuser sofort schlossen, etliche sich nie wieder erholten. Zeitzeugen wie der heutige Brockenwirt Hans Steinhoff, ehemals Küchenleiter im „Hermann Duncker“, berichten ausführlich über die „goldenen Zeiten“. Steinhoff ist im Film der einzige, der in einem Nebensatz auf die Überwachung durch Staatssicherheit und Grenzpolizei eingeht.

In Elend, Stadt Oberharz am Brocken, besuchten die Leipziger Ruinenschleicher, wie sie scherzhaft auch schon heißen, das Hotel „Waldesruh“. Dokumentiert werden Visiten im „Fritz Heckert“ in Gernrode, im alten Verwaltungsgebäude der Eisenhüttenwerke Thale und in der ehemaligen „Nationalpolitischen Lehranstalt“ (Napola) zur Nazizeit bei Ballenstedt. Dort erinnert sich Zeitzeuge Klaus Kleinau, der zur Premiere aus Bad Fallingbostel anreiste. Dem Vergessen entzogen wird per Film auch das einst größte Eisenerzbergwerk des Harzes am Büchenberg bei Elbingerode, von dem Bergbauexperte Gerhard Rösicke berichtet.

Gerade die Kombination von Lebensberichten im Kontrast zu den oft bedrückenden Bildern wie etwa aus dem verfallenen Zechenhaus Büchenberg verleiht dem Film seine besondere Wirkung. Das Publikum in Thale reagierte mit für das Kino ungewöhnlichem Beifall. Thales Bürgermeister Thomas Balcerowski (CDU) dankte dem Filmteam überschwänglich.

Die Top-Premiere und der Erfolg beim Crowdfunding lässt die Filmemacher bereits an einen dritten Teil der Serie denken. „Vergessene Orte gibt es noch viele“, so Enno Seifried, „die wir dann zumindest filmisch bewahren werden.“

Aufgeführt wird „Vergessen im Harz II“ demnächst auch in Hannover und Leipzig. Der Film ist als DVD im Handel.