Feuerwehr:  Jeder kann helfen

Um Mitglieder zu gewinnen, gehen Feuerwehrleute im Harz neue Wege. So wirbt Chris Buchold online für die Wehr in Halberstadt.

Von Sandra Reulecke 12.02.2017, 01:26

Halberstadt l Zeit für Hobbys hat Chris Buchold nicht. Der 21-Jährige ist neben seiner Ausbildung zum Notfallsanitäter als freiwilliger Feuerwehrmann aktiv. Zudem betreut er gemeinsam mit Lars Hartmann die Internetseite und den Facebook-Auftritt seiner Kameraden. Mehrmals in der Woche berichten sie von Einsätzen, Übungen und über Organisatorisches. Auch Glückwünsche zu Feiertagen und sogar ein Adventskalender mit Videos sind zu finden.

Wieso investieren die Kameraden so viel Zeit, um sich online zu präsentieren? „Wir wollen zeigen, wie wir wirklich sind, transparent sein und so die Leute erreichen“, sagt der Pressewart. Das sei notwendig, weil von ihrer Arbeit ein falsches Bild herrsche. „Es gibt viele Vorurteile. Einige Menschen, die keinen Einblick in die Wehr haben, glauben, dass es bei uns nur ums Trinken geht und Brandstifter unter uns sind“, erläutert Chris Buchold. Das entspreche nicht den Tatsachen, versichert er. „Wir helfen Menschen, die in einer Notsituation sind. Darauf kann man stolz sein. Es ist etwas sehr Befriedigendes.“ Zudem sei die Kameradschaft unter den Brandbekämpfern mit nichts zu vergleichen. „Man ist nie auf sich allein gestellt und kann immer auf die anderen zählen“, betont der Halberstädter.

Die Online-Berichterstattung scheint sich auszuzahlen. „Sechs, sieben Leute haben sich in der Wehr vorgestellt, weil sie über Facebook auf uns aufmerksam wurden.“ Zwar sind nicht alle Mitglieder geworden, aber es sei ein Anfang. Ein wichtiger. Denn aktuell sind lediglich 36 ehrenamtliche Feuerwehrleute in Halberstadt aktiv – bei 34 366 Einwohnern in der Kernstadt. „Wir brauchen mindestens doppelt so viele.“ Derzeit seien die Brandschützer bei Alarmierungen auf die Unterstützung der Kameraden aus den Ortsteilen und Harsleben angewiesen. Vor allem tagsüber, wenn die meisten arbeiten sind.

Schon 2007 beklagten die Halberstädter Kameraden niedrige Mitgliederzahlen. Rückblickend Jammern auf hohem Niveau: Vor zehn Jahren gab es noch 45 Aktive.

Gut zehn Jahre ist es auch her, dass sich Chris Buchold entschloss, Feuerwehrmann zu werden. Wie viele Kinder sei er fasziniert von den Fahrzeugen und dem Blaulicht gewesen. „Aber bei vielen verliert sich das irgendwann, sie finden dann andere Sachen wie Fußball spannender“, sagt er.

Bei ihm war das anders. „Im Kindergarten meiner Schwester hat sich damals bei einem Fest die Jugendfeuerwehr vorgestellt. Ich wurde gefragt, ob ich mitmachen möchte und ich bin bis heute dabei geblieben“, erinnert sich der 21-Jährige.

Schnell hatte er Spaß an den Übungen und fand Freunde. Während einige seiner Jugendkameraden das Ehrenamt aufgegeben haben – weil sie zum Beispiel für die Ausbildung umgezogen sind – hat Chris Buchold sein Engagement noch verstärkt. „Ich habe ein freiwilliges soziales Jahr in der Wachbereitschaft geleistet.“

Zu der Zeit ist er auch das erste Mal bei einem Feuer im Einsatz gewesen. „Das war ein Dachstuhlbrand in Mönchhai im Huy, bei dem wir zur Unterstützung angefordert wurden. Es wurde zum Glück niemand verletzt, aber der Tag ist mir in Erinnerung geblieben.“

Anfangs sei seine Familie besorgt gewesen, ob der junge Mann dem, was er bei Einsätzen zu sehen bekommt, gewachsen sei. „Aber ich lasse das nicht zu nah an mich ran und komme gut klar damit.“ Nach schwierigen Einsätzen, wenn Menschen verletzt wurden, tauschen sich die Kameraden untereinander aus, verarbeiten das Erlebte gemeinsam. „Meine Familie hat schnell gemerkt, dass mir die Arbeit liegt und unterstützt mich.“

So kam seine Entscheidung, sich nach der ersten Lehre zum Steuerfachangestellten noch zum Notfallsanitäter ausbilden zu lassen, nicht wirklich überraschend. „Das Helfen liegt mir im Blut“, sagt Chris Buchold. Deshalb könne er nicht nachvollziehen, warum sich nicht mehr Menschen engagieren. Mehr noch – es gibt Beschwerden, dass das Martinshorn zu laut sei und Kameraden, die nach Unfällen Straßen sperren, werden von Autofahrern beschimpft, berichtet Buchold. Seine Verärgerung ist ihm ins Gesicht geschrieben. „Jeder will doch, dass ihm im Notfall geholfen wird, aber wie soll das gehen, wenn jeder nur fadenscheinige Ausreden vorschiebt, warum er nicht selbst in der Feuerwehr ist?“

Seiner Meinung nach könne jeder in der Feuerwehr tätig werden. „Jedem werden nur die Aufgaben übertragen, die er auch meistern kann. Wer zum Beispiel Höhenangst hat, muss nicht auf die Drehleiter.“ Das Alter der Neulinge und deren Geschlecht spielen keine Rolle. „Über mehr Interesse von Frauen würden wir uns freuen. Und uns ist jemand, der 43 ist, genauso willkommen wie 18-Jährige“, betont der Kamerad.

Doch nicht nur die Bürger sieht er in der Pflicht. „Ich weiß, dass es Arbeitgeber gibt, die trotz der Gesetze ihre Leute nicht für Einsätze freistellen wollen oder können. Das muss sich ändern.“ Ebenso müsste die wirtschaftliche Situation der Region gestärkt werden. Es sei schade, wenn Freiwillige aus der Wehr austreten müssen, weil sie vor Ort keinen Ausbildungs- und Arbeitsplatz finden können. „Die Rahmenbedingungen müssen stimmen, dafür müssen Stadt und Land sorgen. Sie sollten Anreize für Ehrenamtliche schaffen. Schließlich profitieren auch sie davon, dass es eine freiwillige Feuerwehr gibt.“