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Stadtrat Einheitsgemeinde ohne Einheit

Eine Frage zog sich durch die Osterwiecker Stadtratssitzung. Wird zu viel in der Kernstadt investiert und bleibt nichts für die Dörfer?

Von Mario Heinicke 02.12.2016, 14:03

Stadt Osterwieck l In der Einwohnerfragestunde wollte es der Göddeckenröder Heinz Koppehel aus erster Hand wissen. Werden die kleinen Dörfer wirklich nicht gleichberechtigt mit Osterwieck behandelt, wie er aus Medien und Bürgergesprächen entnehme?

„Ich denke, der Eindruck täuscht“, antwortete Stadtratsvorsitzender Dirk Heinemann (SPD), der als Wülperöder selbst in einem der kleinen Orte wohnt. Natürlich sei Osterwieck öfter von Bauvorhaben betroffen als Göddeckenrode, erklärte er.

Was die Altstadt betrifft, stellte Heinemann heraus, dass die Kommune hier sehr hohe Fördersätze bekomme. Trotzdem habe sich der Stadtrat immer Mühe gegeben, die Orte gleich zu behandeln, wenn auch nicht „auf Heller und Pfennig“.

Im weiteren Verlauf der Ratssitzung konnte Heinz Koppehel live verfolgen, wie unterschiedlich die Ansichten der Abgeordneten, abhängig vom Wohnort, darüber sind.

Zutage trat dies vor allem bei zwei Beschlussvorlagen, die die Kernstadt betrafen: die Aufnahme ins Förderprogramm Stadtumbau Ost und die Regularien der Altstadtsanierung. Diese wurden übrigens, um es gleich vorweg zu nehmen, jeweils mit großer Mehrheit beschlossen.

Beim Stadtumbau Ost geht es letztendlich um die Entwicklung des Bereiches der Osterwiecker Bahnhofstraße, in dem es etliche sogenannte städtebauliche Missstände gibt. Angefangen von der schlechten Straße, dem Parkplatz des Einkaufszentrums, dem Busbahnhof, einer fehlenden öffentlichen Toilette bis zu Brachflächen.

Dinge, die letztendlich auch die Bewohner aus den anderen Orten betreffen, wie Bürgermeisterin Ingeborg Wagenführ (Buko) feststellte.

Bauausschussvorsitzender Hartmut Janitzky (CDU) warb daher sehr für eine Zustimmung, wie zuvor schon in seinem Ausschuss. „Außerhalb der Altstadt können wir nicht mit Fördermitteln rechnen“, betonte der Osterwiecker. „Und nur allein mit Eigenmitteln können wir in diesem Bereich kaum etwas bewegen.“

„Wir sehen hier wieder, dass grundsätzlich alles für Osterwieck läuft und die Ortschaften ringsum alle Nase machen. Das ist es, was ich nicht möchte“, sagte daraufhin Hans-Jörg Gifhorn (Aktive Bürger). „Denn wir haben noch etliche andere Kommunen, wo etwas zu tun ist – und nicht nur den Ortsteil Osterwieck.“

Später erklärte der Rohrsheimer an die Bürgermeisterin gerichtet: „Ich bin nicht gegen das Konzept, aber vergessen Sie die Dörfer nicht. Auch die Ortschaften müssen von dem Brot etwas abkriegen. Und jetzt braucht mir keiner zu kommen und zu sagen, ihr habt doch eine neue Straße bekommen.“

Doch genau das tat Ratsvorsitzender Heinemann. „Wenn Herr Wüstemann (Ortsbürgermeister Lüttgenrode/d.A.) das an Ihrer Stelle sagen würde, hätte ich vollstes Verständnis. Bei Ihnen leider nicht.“

Hartmut Janitzky ärgerte sich über diese Diskussion, weil es eben überhaupt keine Einheit in der Einheitsgemeinde gebe. Er kritisierte nicht nur Gifhorn, sondern auch den Deersheimer Ortsbürgermeister Wolfgang Englert (WG Deersheim) mit seiner Karnevalsrede zum 11.11., „in der es nur darum geht, dass Osterwieck angeblich alles bekommt. Wenn einer dem anderen immer etwas neidet, wird das nie eine Stadt Osterwieck werden“.

Aber die Osterwiecker können auch selbst Wasser auf die Mühlen geben. Ortsbürgermeister Ulrich Simons (CDU) sprach bei den Regularien zur Altstadtsanierung aus seiner Sicht Klartext. Diese Vorlage „geistert“ seit gut einem Jahr durch diverse Stadtgremien, wurde im Ortschaftsrat zweimal abgelehnt.

Dass diese Vorlage dennoch beschlossen werden sollte, wertete Simons als „Frontalangriff“ gegen die Altstadtsanierung in Osterwieck. „Es ist unübersehbar, dass es in diesem Rat eine große Mehrheit gibt, die den Städtebaulichen Denkmalschutz so schnell wie möglich beenden möchte“, sagte er.

Dabei listete er auf, was Osterwieck in die Einheitsgemeinde gebracht habe: deutlich höhere Steuerhebesätze, Acker, Wald und Kowisa-Aktien. Geld, das heute in den großen Topf fließe, „das sollte man auch mal dabei bedenken“.

Auf die Spitze trieb es Simons mit der Bemerkung an die einstigen Aue-Fallsteiner Orte gerichtet: „Wir haben in Osterwieck in 20 Jahren eine ganze Menge Straßen saniert. Wenn woanders die Straßen schlechter sind, muss man auch mal die Frage stellen dürfen, was habt ihr denn die 20 Jahre lang gemacht?“

Als Simons den Aue-Fallsteinern noch die vielen Schulden vorhielt, die sie in die Einheitsgemeinde mitgebracht hatten, wurde es laut. Der Hessener Rüdiger Seetge (Aktive Bürger) verließ sichtlich verärgert vorübergehend den Ratssaal.

Ratsvorsitzender Dirk Heinemann musste schließlich feststellen, „dass zwischen Teilen des Rates ein tiefer Graben gezogen wurde“. Sein Aufruf an die Abgeordneten: „Lasst es uns probieren, diesen Graben zuzuschütten.“