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Brauchtum Männer stemmen allein mit Muskelkraft

Mit vereinter Muskelkraft haben am Sonnabend Männer in Zobbenitz den Pfingstbaum samt Ochsen in die Höhe gestemmt.

Von Anett Roisch 06.06.2017, 01:01

Zobbenitz l Triumphierend wie Eroberer reiten die jungen und junggebliebenen Männer, die den Pfingstbaum aus dem Wald geholt haben, am Abend vor dem Pfingstfest auf dem Stamm zum Dorfplatz. Die Zobbenitzer haben sich – wie in alten Zeiten – zuvor im Wald mit Eierback gestärkt. Zahlreiche Schaulustige begrüßen die Truppe.

Bevor das große Stemmen des Baumes beginnt, wird die Pfingstpuppe an den Stamm genagelt. Der sogenannte Pfingstochse, der in einer alten Feuerwehruniform steckt und mit Heu ausgestopft wurde, hat für seine neue Mission eine Schönheitsbehandlung bekommen. Die Jugendlichen der Zobbenitzer Feuerwehr hatten die Puppe erschaffen. Die Brandschützer und deren Verein sind die Initiatoren dieses Pfingstbrauches.

Feuerwehrmann Rainer Tornetzki übernimmt nun das Kommando. Mit Hilfe von Holzgabeln wuchten die Männer den Baum Stück für Stück in die Höhe. Jede Generation hat ihre Aufgabe. Während die tatkräftigen Herren beim Baumaufstellen mächtig ins Schwitzen geraten, geben die älteren Herrschaften weise Ratschläge.

„Es sind nicht alles junge Männer, auch über 50-jährige Herren sind dabei. Aber alles funktioniert heute super, weil es im Ort immer noch genügend Leute gibt, die die Tradition pflegen“, freut sich Erwin Lindecke, der mit Horst Przygode, Erwin Brennecke und Otto Schulze als Experten-Team das Geschehen beobachtet und fachkundige Tipps gibt.

„Ich bin seit 60 Jahren in der Feuerwehr und war ein viertel Jahrhundert aktiv beim Pfingstbaumaufstellen dabei“, erklärt der 83-Jährige Lindecke, der sich selbst als „blutjung“ bezeichnet. „Die Braunschweiger Seite muss jetzt stärker stemmen und dann die Preußen-Seite“, animiert Lindecke. Der gebürtige Zobbenitzer erläutert die richtungsweisenden Hinweise.

„Wir in Zobbenitz liegen auf der Braunschweiger Seite und in der anderen Richtung geht es nach Klüden – also Preußen“, beschreibt Lindecke. Dabei muss alles per Muskelkraft über die Bühne gehen. Schließlich müsse – nach Lindeckes Ansicht – die Tradition gewahrt werden.

„Die Melkschemel wurden früher aus dem Kuhstall geklaut und an den Pfingstbaum gehängt. Erst wenn der Baum runter kam, gab es den Melkschemel zurück“, berichtet Otto Schulze. „In der Freien Nacht – also in der Nacht vor Pfingsten – wurde nichts geklaut, es wurde versteckt. Türen und Tore wurden ausgehängt“, korrigiert Erwin Brennecke. „Wir haben auch mal den Brotwagen des Bäckers, der über Land gefahren war, in den Teich geschoben“, feixen die älteren Männer.

„Früher wurde so mancher Steintritt mit Waschblau versehen. Die Dame sollte alles schrubben, damit es Pfingsten blank ist. Und das ging schwer auf Sandstein“, erinnert sich Lindecke. „Es gab auch Mädchen, die einen Birkenstrauß bekommen haben und andere die einen Besen vor die Tür gestellt bekamen“, weiß Brennecke noch ganz genau. „Das heißt, Mädchen, die einen Freund hatten, bekamen den Birkenstrauß und andere, die rumzickten, bekamen den Besen“, erläutert Horst Przygode.

„Früher mussten die Konfirmanden noch das Loch für den Pfingstbaum buddeln. Die Konfirmanden mussten schon nachmittags antreten, um ihre Aufgabe zu erfüllen. Oft war das Grundwasser so hoch, dass derjenige, der graben musste, bis zum Bauch im Wasser stand“, denkt Lindecke zurück.

Die Konkurrenz zwischen Braunschweig und Preußen ist immer noch lebendig. Es wird zum Beispiel immer zum Nachbardorf geguckt, wer den größeren Pfingstbaum hat. „Unser Baum ist über 26 Meter hoch. Früher wurde der Baum geholt, um ihn zu verkaufen. Heute geht es allein um die Bewahrung der Tradition“, erklärt Lindecke. Und trotzdem wird der Baum auch heute noch eine Woche nach dem Fest versteigert.

Mit einem wiederholten „Zuuuuu gleich!“ ist es in einer halben Stunde geschafft. „Passt?“, fragt Tornetzki die vier Experten für die Abnahme. „Ja, passt! Lass ihn so stehen, wenn heute Nacht der Sturm kommt, steht er kerzengerade“, wissen die älteren Herren aus Erfahrung. Mit Gerstensaft stoßen die Akteure und ihre Gäste im Feuerwehrgerätehaus auf ihr geglücktes Werk an.