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Asyl Kroppenstedt bietet ein neues Zuhause

Vier Familien, die aus Syrien oder Afghanistan geflüchtet sind, geben Einblick in ihre Vergangenheit und aktuelle Situation.

Von René Döring 23.11.2015, 00:01

Kroppenstedt l Ich verstehe zwar zunächst kein Wort, fühle mich aber sofort wohl und willkommen. Ich schüttele etliche kleine und große Hände, schaue dabei in freundliche Augen und marschiere auf Strümpfen durch die Diele ins Wohnzimmer. Dabei bekomme ich in mehreren Deutsch-Varianten einen „Guten Abend“ gewünscht und ärgere mich, diese Grüße nicht auf arabisch erwidern zu können.

Als wir allesamt in der Stube sitzen, zähle ich: Mutter, Vater und vier Söhne. 10 bis 15 Jahre sind die Kinder alt. Später erfahre ich bei einem Glas Tee, dass die Familie Hfidle aus der syrisch-kurdischen Enklave Afrin vor der Isis geflüchtet ist und die verhältnismäßig kurze Zeit von zwei Wochen für die Flucht nach Deutschland gebraucht hat, da Afrin im äußersten Nord-westen Syriens liegt.

Das alles und noch einiges mehr, beispielsweise etwas über die letzten Tage in der Heimat und den Fluchtverlauf, verstehe ich aber nur, weil ich Beate Könnecke und Naief Al Mohammad an meiner Seite habe. Beate Könnecke gehört zum Kroppenstedter Runden Tisch, der die Ankunft der ersten vier Flüchtlingsfamilien in der Freikreuzstadt nebst Einzug in Wohnungen eines in Privatbesitz befindlichen Wohnblocks vorbereitet hatte und sich nun intensiv um die Neu-Kroppenstedter kümmert. Und Naief Al Mohammad ist so etwas wie ein Verbindungsmann, der mit seiner fünfköpfigen Familie auch aus Syrien nach Kroppenstedt gekommen ist und gut Englisch spricht.

Doch bevor ich die Familie von Naief Al Mohammad näher kennenlerne, besuche ich gemeinsam mit ihm und Beate Könnecke die Familie Ismail. Mama Salah Ismail hatte sich gemeinsam mit ihren erwachsenen Söhnen Alan und Mohamed, ihrer erwachsenen Tochter Nojah und mit ihrer jugendlichen Tochter Mnal sowie mit Schwiegertochter Shinda nebst Baby in Syrien auf den Fluchtweg begeben, um nach 45 Tagen in Deutschland anzukommen. Was längst nicht alle geschafft haben, die sich neben Familie Ismael in das kleine Flüchtlichsboot gesetzt hatten.

Doch darüber möchte jetzt niemand so wirklich gern sprechen. Vielmehr möchte nach der Familie Hfidle auch die Familie Ismail vor allem sagen, dass sie sehr dankbar dafür ist, wie sie von den Menschen in Kroppenstedt aufgenommen worden ist und wie sie betreut wird. Und ganz automatisch schauen in diesem Augenblick allesamt Beate Könnecke an, um mit leuchtenden Augen und einem Lächeln zu sagen: „Misses Beate, vielen Dank“.

So herzlich wie wir von Familie Ismail verabschiedet werden, so herzlich werden wir einen Eingang weiter und eine Etage höher von Ahmad und Samadi Naibi sowie deren drei Kindern empfangen, die zwischen 3 und 18 Jahre alt sind.

Bei einer weiteren Tasse Tee erfahre ich, dass die Naibis aus Afghanistan stammen, dort in Herat, der drittgrößten Stadt des Landes gelebt haben und flüchten mussten, weil Vater Ahmand auf der Todesliste der Taliban stand. Der Grund: Er hat für die Uno-Truppen gearbeitet, ihnen beispielsweise geholfen, Minen zu bergen. Und wie die 18-jährige Ravina, die in ihrer Heimat ein Medizinstudium begonnen hatte, sehr emotional in ihrer Muttersprache Persisch berichtet, ist niemand aus ihrer Familie mehr sicher gewesen. Weshalb sie alle zusammen ihr Heil in der Flucht gesucht und sechs Wochen später Deutschland erreicht hatten. Wo sie nun nach und nach wieder zu sich finden und ein neues Leben beginnen. Mit Unterstützung von Beate Könnecke, den anderen Mitstreitern vom Runden Tisch sowie anderen Kroppenstedtern.

Beispielsweise mit Unterstützung von Nachbarin Georgia Knie. Die gemeinsam mit Tochter Ulrike die Familie Naibi regelmäßig besucht, Arztbesuche organisiert oder auch zum Einkauf mitgeht. Und während wir uns verabschieden, werden schon die nächsten Termine verabredet.

Das ist eine zusätzliche Hilfe, über die sich Beate Könnecke sehr freut, mit der ich nun von Naief Al Mohammad zum Abschluss der Besuchs-Runde in dessen Wohnung gebeten werde. Wo wir von Ehefrau Mona sowie den neugierig-freundlich dreinblickenden Kindern, also von dem achtjährigen Houssain, der vierjährigen Almiasa und dem einjährigen Mohammed begrüßt werden.

Dass mich Mohammed sogleich von seinem Keks abbeißen lässt, ist ein großer Vertrauensbeweis. Wie die gesamte Familie Al Mohammad großes Vertrauen zu denjenigen hat, denen sie in Deutschland und vor allem in Kroppenstedt begegnet. Verbunden mit großer Dankbarkeit.

Große Dankbarkeit gibt es – und das gelte für alle vier Familien, wie Naief Al Mohammad betont – zum Beispiel für die Spenden, mit denen sie sich inzwischen ihre Wohnungen ganz gemütlich eingerichtet haben. Dank sagen sie auch den Menschen, die ihnen helfen, die ersten deutschen Wörter zu lernen oder mit ihnen in Nachbarorte zum Einkaufen fahren. Zudem bedanken sie sich für die Offenheit, mit der ihnen im Wohnhaus von den Nachbarn, in der Stadt, in den Einrichtungen oder auch in den Vereinen begegnet wird.

Dabei gehen die Kroppenstedter Kinder voran. So klingelt es nicht nur einmal am Tag an den Türen der Neu-Kroppenstedter und kleine Alt-Kroppenstedter erkundigen sich, ob Ibrahim, Seifor Rahman oder Houssain zu Hause sind und runterkommen.

Zentrale Spiel- und Treffpunkte sind das DRK-Mehrgenerationenhaus und die evangelische Kirchengemeinde. Aber auch der Sportverein ist bereits eine feste Adresse. Denn hier trainieren bereits nicht nur Alan und Mohamed Ismail in der Germania-Männerfußballmannschaft sowie die vier Hfidle-Söhne und Houssain Al Mohammad in den Nachwuchsteams mit. Auch haben sich die drei jungen Damen der Familie Ismail der Germania-Frauensportgruppe angeschlossen.

Und mit Blick in die Zukunft erfüllen sich am heutigen Montag für aller vier Familien zwei besonders große Wünsche. Zum einen beginnt heute für die Erwachsenen und Jugendlichen ein mehrmonatiger Deutsch-Lehrgang und werden zum anderen ab heute die Kinder im Grundschulalter die Freikreuz-Schule besuchen. Und das, nachdem bei einem Besuch der Magdeburger Universität auch schon über Studienmöglichkeiten informiert worden ist und überdies Verhandlungen über den Besuch der Kindertagesstätte und der Sekundarschule laufen.

Nachdem über all das und noch über einiges mehr gesprochen ist, heißt es für heute „Auf Wiedersehen“ sagen. Ein Abschied, den Naief Al Mohammad mit der nächsten Einladung und einem ganz besonderen Versprechen verbindet, das mir Beate Könnecke wie folgt übersetzt: „Wenn du uns in sechs bis acht Wochen das nächste Mal besuchst, werden wir uns auf Deutsch unterhalten können.“