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Extremsport Auf Distanz zur Zivilisation

Der gebürtige Salzwedeler Guido Lange joggt entlang der Ostsee von Stralsund bis nach Helsinki.

Von Antonius Wollmann 05.07.2017, 15:07

Salzwedel l Wenn es doch der Knöchel gewesen wäre oder das Knie. Oder irgendetwas anderes, das auch nur im entferntesten mit dem Laufen zu tun hat. Dass aber heftige Zahnschmerzen Guido Lange auf seinem Weg von Stralsund nach Helsinki ausbremsen, damit hätte der Lauf-Freak wahrscheinlich nicht gerechnet.

Wie dem auch sei, die Entzündung drohte, das gesamte Projekt scheitern zu lassen. Die einfache Rechnung: Wer heftige Zahnschmerzen hat, kann nichts essen. Wer nichts isst, kann keine 30 Kilometer pro Tag laufen. Die einzige Möglichkeit: In der lettischen Provinz einen Zahnarzt finden, der die dringend notwendige Behandlung vornimmt.

Denn das ambitionierte Vorhaben aufzugeben, war keine Option für den 53-jährigen. Immerhin hat er schon zwei Drittel der Strecke bewältigt. Im Städtchen Mersrags wurde Guido Lange schließlich fündig, eine Zahnärztin machte ihn wieder fit. Dass der gebürtige Salzwedeler, der mittlerweile in der Nähe von Koblenz lebt, anschließend 21 Kilometer mit dem Bus zurücklegte, ließ sich angesichts des verlorenen Zeit nicht vermeiden.

Ansonsten geht Guido Langes Plan voll auf. Tief im Baltikum ist er mittlerweile angekommen. Seit einigen Tagen ist er in Estland, dem nördlichsten der drei baltischen Länder, unterwegs. Und hat es dort in der Stadt Pärnu, einer Kreisstadt mit 39.000 Einwohner, prompt auf die Titelseite einer Zeitung und damit zu lokaler Prominenz geschafft. „Ich bin selbst ganz überrascht. Die wenigen Menschen, die hier wohnen, erkennen mich und winken. Ein cooles Gefühl“, freut er sich über den Zuspruch.

Derweil keimen fern der alten Heimat immer wieder Gefühle für seine Geburtsstadt auf. „Pärnu erinnert mich sehr an Salzwedel. Die Landschaft drum herum übrigens auch“, schildert der Strandläufer seine Eindrücke.

Des Laufens überdrüssig ist er trotz der mittlerweile mehr als 1000 zurückgelegten Kilometer nicht. Dafür prasseln tagtäglich zu viele Eindrücke auf ihn ein: „Es ist ein wahrhaftiges Abenteuer. Und zwar jeden Tag neu. Zum Beispiel bin ich bei strömendem Regen auf der Europastraße 67, die nach Tallin führt, gelaufen. Ein einmaliges Erlebnis, wenn auch das Gegenteil von Natur und Abgeschiedenheit.“

Eben jene Distanz zur Zivilisation erlebte Guido Lange stattdessen im Norden Lettlands auf den gut 100 Kilometern zwischen der Stadt Ventspils (deutsch: Windau) und Kap Kolka, dem nördlichsten Punkt der Halbinsel Kurland. Völlig abgeschieden liegt diese Region. Hotels, Camping-Plätze und Supermärkte sucht man in diesem verlassenen Landstrich vergeblich. „Hier wird schon mal das Trinkwasser knapp“, schildert Guido Lange den Grad der Einsamkeit. In dieser Situation ist die Kunst des Improvisierens gefragt. „Ich habe dann mit Ostseewasser mein Abendbrot gekocht und ein paar Tage im Zelt übernachtet, direkt am Strand. Eigentlich ist das Gebiet ein Nationalpark und sein Zelt aufzubauen, ist verboten.“ Im Freien zu übernachten, kam nicht in Frage: „Sonst hätten mich wahlweise Mücken, Wespen oder Ameisen aufgefressen.“

Trotz dieser Beschwerlichkeiten genießt Guido Lange die Zeit an der baltischen Ostseeküste. Geradezu ins Schwärmen gerät er, wenn er an die Abendstunden denkt: „Die Sonnenuntergänge waren einfach sensationell. Und wenn ich nachts immer mal aus dem Zelt guckte, war es nie dunkel, der Horizont war immer hell. Diese Eindrücke vergesse ich mein Lebtag nicht.“

Körperlich geht es dem Läufer aus Leidenschaft wieder bestens. Die Zahnprobleme sind überwunden. Davon abgesehen klagt er über keine gravierenden Blessuren. Zwar würden Zehen, Waden, Rückenmuskeln und Schultern hin und wieder schmerzen, doch mit der richtigen Nachsorge nach den Läufen kriege er das in den Griff, sagt Guido Lange. Mit einer Rolle und einem Golfball massiert er zum Beispiel die neuralgischen Stellen. Am meisten legt er aber Wert auf das ausgiebige Dehnen nach den Läufen. Denn ein paar hundert Kilometer liegen noch vor ihm. Und damit auch der Abschluss der Tour. Am 12. August fällt der Startschuss für den Helsinki-Marathon. Mit Guido Lange als Starter.