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Erpressung Verwirrende Aussagen vor Gericht

Verwirrende Aussagen vor dem Amtsgericht: Ein Schönebecker muss sich wegen räuberischer Erpressung verantworten.

Von Bernd Kaufholz 12.09.2016, 23:01

Schönebeck l Die Strategie von Strafverteidiger Christian Nordhausen aus Cottbus lag klar auf der Hand. Sein Ziel war es, die Glaubwürdigkeit der jugendlichen Zeugen zu erschüttern, um das Schöffengericht von der Unschuld seines Mandanten zu überzeugen, der wegen räuberischer Erpressung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamten angeklagt ist. Dabei setzte der Anwalt zum Teil auf eine sogenannte Konfliktverteidigung, die sich auch in scharfen Wortgefechten mit Staatsanwältin Antje Walter und dem Vorsitzenden Eike Bruns manifestierte. So monierte Nordhausen zum Beispiel in Richtung des Richters: „Ich habe das Gefühl, Sie geben dem Zeugen die Antwort vor.“ Als sich der Anwalt eine 16-Jährige zur Brust nahm, konterte Bruns: „Sie sind hier nicht in der Position, Zeugen zu maßregeln.“

Doch zum Fall selbst. Der „Boss“, wie Stanley N. in Schönebecker Polizeikreisen genannt wird, soll am 30. September 2015 gegen 19.45 Uhr von vier Jugendlichen auf offener Straße ein Handy gefordert haben. Als diese sagten, dass sie keine Telefone dabei haben, habe N. einen 16-Jährigen gegen die Brust getreten, so dass dieser an einen Gartenzaun krachte. Anschließend soll der 23-Jährige Geld gefordert haben: „Zehn Euro oder ihr kriegt noch mehr ab!“ Neun Euro kamen zusammen. Damit zufrieden, sei der Angeklagte dann im Auto fortgefahren.

Das Auto mit Hildesheimer Kennzeichen wurde von der Polizei wenig später vor einem Mehrfamilienhaus ausgemacht. Der Polizeiobermeister, der dem Fall nachgehen wollte, wurde aus einem Fenster der oberen Etage (nach seiner Aussage vom Angeklagten) mehrfach als Bastard beschimpft. „Der Mann war kampfbereit und aggressiv“, sagte der Beamte aus. Und nicht genug damit, der Polizist wurde in bester Dromedar-Manier aus dem Fenster heraus bespuckt, jedoch nicht getroffen.

Für Strafverteidiger Nordhausen, alles unbewiesene Behauptungen. „Mein Mandant hat mit einem Kumpel ab 13.30 Uhr drei Flaschen Wodka Lemon und 24 halbe Liter ‚Polen-Bier‘ mit mehr als fünf Prozent Alkoholgehalt getrunken.“ Er könne sich somit an die Einzelheiten des Tages nicht mehr erinnern. In der Wohnung sei er zwar gewesen, habe jedoch geschlafen. Im Auto sei er mitgefahren, aber nicht ausgestiegen. Nur so viel wusste N. noch: „Da sind ein paar Jugendliche mit einem Moped rumgeknattert. Das is mir uff’n Sack jegangen.“

Bei der intensiven Befragung der jugendlichen Zeugen durch den Anwalt klang immer wieder der Verdacht durch, dass sich die vier abgesprochen hätten, um N. zu belasten. Der Angeklagte: „Ein abgekartetes Spiel.“ Und auch, als ihm der Richter eine Brücke baute: „Sie hören jetzt das Wort zum Sonntag: Beraten sie sich noch einmal mit ihrem Anwalt. Ein volles Geständnis ist das beste Argument für einen Angeklagten. In Cottbus stehen wohl auch noch einige Sachen aus. Die Luft wird langsam dünn für Sie, und sie ziehen bald ein.“ Doch darauf ließ sich der Angeklagte nicht ein.

Die vier Jugendlichen, allesamt Tatzeugen, einer das 16 Jahre alte Opfer, machten es dem Anwalt auch nicht sonderlich schwer. Immer wieder ging es um die sogenannte Lichtbildervorlage bei der Polizei. Der 16-Jährige sagte nun, dass er „eigentlich nur geraten“ habe, als ihm die Fotos vorgelegt wurden. Bei der Polizei hatte er unterschrieben, den Täter zweifelsfrei „wiedererkannt“ zu haben.

Unterschiedliche Aussagen gab es auch darüber, wo N. im Auto gesessen hat – vorn als Beifahrer oder hinten. Eine 15-Jährige schluchzte ängstlich, dass sie niemanden auf den Fotos wiedererkannt habe. Richter Bruns in Richtung Angeklagter: „Erkennen Sie ihn heute wieder?“ Nicken.

Doch mit all dieser Verwirrung nicht genug: Mitten in der Aussage einer Zeugin wurde dem Gericht mitgeteilt, dass auf dem Flur vor dem Gerichtssaal die Situation zu eskalieren drohte. Ein bulliger Mann mit dicker Kette um den Hals habe in Richtung der wartenden Zeugen die Geste des Faustschlagens gemacht. Bruns stürmte mit wehenden Robenschößen nach draußen. Er stellte den „Fahrer“ des Angeklagten zur Rede und versprach ihm eine Nacht in der Zelle.

Was noch blieb, war der Antrag des Verteidigers, einen Sachverständigen zu bestellen, der seinem Mandanten Schuldunfähigkeit auf Grund des hohen Alkoholisierungsgrades attestiert. Um Licht in die verworrene Sache zu bringen sollen weitere Zeugen gehört werden. Mit einem Urteil wird am 26. Oktober gerechnet.