1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Schönebeck
  6. >
  7. Verabschiedung nach Tragischer Ouvertüre

Konzert Verabschiedung nach Tragischer Ouvertüre

Mitteldeutsche Kammerphilharmonie und Philharmonisches Orchester Wernigerode haben in Schönebeck gemeinsam musiziert.

Von Ulrich Meinhard 24.10.2016, 18:20

Schönebeck l Es war wie in einem englischen Fußballstadion beim gemeinsamen Konzert der Mitteldeutschen Kammerphilharmonie und des Philharmonischen Kammerorchesters Wernigerode am Sonntagabend im Dr.-Tolberg-Saal in Bad Salzelmen. Noch näher heran konnte das Publikum den Musikern nicht rutschen, beide Seiten waren sich zum Anfassen nahe. Eine Enge, die der überschaubaren Größe des Saales geschuldet ist - aber die ein Konzert erleben ließ von beeindruckender Eindringlichkeit.

Alles begann mit der Entschuldigung des Dirigenten Gerard Oskamp gegenüber dem Geschäftsführer der Mitteldeutschen Kammerphilharmoniker, Hans-Jörg Simon. Eine Entschuldigung dafür, dass just zur Verabschiedung von Simon in den Ruhestand die „Tragische Ouvertüre“ von Johannes Brahms auf dem Programm stand. Aber das Programm war bereits fertig, als sich die Verantwortlichen von Orchester, Orchester-Förderverein und Salzlandkreis dazu entschlossen, dieses Konzert für ein großes Dankeschön an Simon zu nutzen. Und es darf vermutet werden, dass der langjährige Geschäftsführer nichts auszusetzen hatte an der Auswahl der Stücke - und schon gar nicht an ihrer Interpretation. Oskamp ließ schon einmal wissen, was er ab sofort bei den Konzerten auf jeden Fall vermissen wird: „Du hast es immer so gut hinbekommen, die Leute nach der Pause wieder hereinzukomplementieren. Heute wirst Du es zum letzten Mal machen können und dabei soll Dir eine Glocke behilflich sein.“ Sprachs und überreichte Hans-Jörg Simon eine mittelgroße Bimmel, um dann schnurstracks mit dem Konzert zu beginnen.

Und wie. Gleich einer musikalischen Brandung betörender Größe flossen die Klänge in die Publikumsreihen. Es war, als hätten die Musiker keine fünf Minuten länger warten können, ohne zu platzen. So sehr drängte es sie nach Ausdruck. Das war Brahms. Das war herrlich.

Wem beim nächsten Stück, dem Klavierkonzert Nummer 1 in Es-Dur von Franz Liszt, nicht in immer wiederkehrenden Wellen Gänsehautschauer über den Rücken gelaufen sind, derjenige dürfte andere Antennen in die Welt haben - zur Musik zumindest nicht. Mit Natasha Binder hatte die Solistin des Abends die Bühne betreten. Natasha Binder ist 16.

Was für ein Anschlag! Was für eine Kraft! Und es wirkt, wenn sie dieses schwere Stück spielt, als täte sie es wie nebenbei, so wie jemand den Abwasch macht oder ein Regal einsortiert: ohne größere Anstrengung. Von da und dort erhob sich ein Gebilde des Klangs volltönend und virtuos kreiert über die Künstlerin, das Orchester, das Publikum. Und dieses Gebilde konnte unmöglich länger im Saal bleiben, es musste hinaus in die Stadt und deren Umkreis. Es war, als ginge ein Sonnensturm nieder - und vielleicht waren diverse Handys und Computer lahmgelegt. Typisch für dieses Musikstück ist der Wechsel zwischen zart fließenden und hammerhart wuchtigen Tonläufen. Der Vorstandschef der Salzland-Sparkasse, Hans-Michael Strube, bestätigte flüsternd: „Gänsehautschauer - jede Menge.“

Stehende Ovationen im vollbesetzten Tolberg-Saal waren der Lohn für die junge Künstlerin, die den Applaus genoss.

Die Pause wurde nun genutzt für die Verabschiedung von Hans-Jörg Simon. Landrat Markus Bauer (SPD) stellte dessen große Tugend fest: „Sie waren immer begeisterungsfähig.“ Simon ist 1997 als Produktionsleiter für den Schönebecker Operettensommer zur Kammerphilharmonie gekommen, ein Jahr später wurde er Orchestermanager, 2005 Geschäftsführer. 2013 übernahm er zudem die Geschäftsführung der Bernburger Theater- und Veranstaltungs GmbH. „Auch das haben Sie mit Bravour gemeistert“, lobte Bauer. Der Landrat betonte, dass Simon viele Ideen ins Spiel gebracht und umgesetzt habe, zum Beispiel die „Heiter-Klassische-Reihe“ oder auch Gastspiele der Kammerphilharmoniker im Magdeburger Gesellschaftshaus. Unter welchen unsicheren Bedingungen Kultur heutzutage lebt, ließ der Landrat in der Bemerkung anklingen: „Das Fortbestehen des Orchesters war zu keiner Zeit eine Selbstverständlichkeit.“ Doch mit Kreativität und Schaffenskraft sei Simon die Aufgaben angegangen - bekanntlich erfolgreich. Der scheidende Geschäftsführer, so Bauer, habe maßgeblichen Anteil daran, wenn sich der Salzlandkreis heute seines Hausorchesters rühmen kann.

Juliane Behrens-Simonis vom Orchestervorstand hielt fest: „Sie haben für uns gekämpft.“ Sie bescheinigte Simon wohlmeinende Menschlichkeit gepaart mit Menschenkenntnis. Und auch das: „Sie hatten eine Menge Arbeit mit uns.“ Kleine Pause. „Aber ich glaube, Sie haben es genossen.“ Als 60-minütiges musikalisches Bonbon folgte auf die Verabschiedung Tschaikowskis Sinfonie Nummer 6 in h-Moll. Was für ein Schwelgen, was für ein Getragensein. Was für eine Fulminanz im berühmten dritten Satz. Es mutete an, als wenn das Orchester - im besten Sinne - marschiert. Wohl niemand, der da nicht mit musste, mit wollte. Und gleich darauf strömten die Klänge, luden ein zum Verweilen am Fluss, der Musik heißt. Ein Labsal.