1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Stendal
  6. >
  7. Pau ist für lückenlose Aufklärung

Mordserie Pau ist für lückenlose Aufklärung

Petra Pau berichtete in Stendal über die Aufarbeitung der NSU-Mordserie. Die Politikerin war Mitglied des ersten NSU-Untersuchungsausschuss.

Von Bernd-Volker Brahms 11.03.2016, 00:01

Stendal l Im Falle der NSU-Mordserie hat der Rechtsstaat versagt, zu diesem Schluss kommt die Bundestagabgeordnete Petra Pau (Die Linke) und fasst damit das Ergebnis des ersten Bundestagsuntersuchungsausschusses zum rechtsextremistischen Terror der Gruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) zusammen. Die 52-jährige Berlinerin arbeitete 2012-2013 beim ersten Untersuchungsausschuss mit und gehört auch dem zweiten U-Ausschuss an, der seit Dezember des vergangenen Jahres arbeitet. Pau berichtete am Mittwoch in Stendal in den Räumen des Vereins Kinderstärken über ihre Mitarbeit an der Aufklärung des Versagens der staatlichen Organe im Falle der Kerngruppe des NSU um Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe, die zwischen 2000 und 2006 mindestens der zehn Morde und zwei Banküberfälle begangenen haben.

„Die Arbeit im Ausschuss war eine einmalige Erfahrung, weil die Vertreter aller Fraktionen sehr zielorientiert mitgearbeitet haben“, sagte Petra Pau, die seit 2006 auch Bundestagsvizepräsidentin ist. Bevor sie ihre Arbeit im Ausschuss aufgenommen hatten, hätten sich die Mitglieder zusammengesetzt und beschworen, Differenzen nicht öffentlich und auch nicht vor Behörden auszutragen. „Wir haben es bis heute durchgehalten“, sagte Pau. Man habe die Untersuchungsarbeit als Verpflichtung gegenüber den Opfern gesehen.

Erst vor einer Woche sei sie wieder in Köln in der Keupstraße gewesen, erzählte Pau. Sie habe mit Zeugen des Nagelbomben-Attentats von 2004 gesprochen. Der Anschlag war gezielt auf türkische Menschen verübt worden. „Die Leute haben mir erzählt, wie sie immer wieder von der Polizei bedrängt worden seien, dass sie doch endlich ihre eigene Beteiligung an dem Vorfall schildern sollten“, so Pau. Man habe aus Opfern Täter gemacht. Ohne, dass sie es einzelnen Polizisten vorwerfen wolle, hätte die Ermittlungsarbeit „rassistische Züge“ getragen. Es sei nicht „in alle Richtungen“ ermittelt worden, wie es gesetzlich vorgesehen ist.

Schon 2006 habe es Hinweise gegeben, dass Fälle des NSU-Trios aus dem rechtsextremen Lager kommen könnten. Dies sei unter anderem vom damaligen Innenminister Otto Schily (SPD) und auch bayerischen Innenminister Günter Beckstein (CSU) unterdrückt worden, auch weil man das neue deutsche Image „Die Welt zu Gast bei Freunden“ während der Fußball-WM nicht zerstören wollte. Schily und Beckstein hätten Pau gegenüber noch eine andere irritierende Erklärung abgegeben. Man wolle keine Panik unter der türkischen Bevölkerung verursachen, gab Pau persönliche Gespräche wieder.

Noch gravierender sei jedoch die Tatsache gewesen, dass die Geheimdienste ein Eigenleben geführt hätten, sagte die Linke-Politikerin. „Es gab Hinweise beim Verfassungsschutz, die zur Gruppe führten. Diese Hinweise wurden aber nicht an die Kriminalbehörden weitergereicht“, erläuterte Pau. Es habe auch ein „unmögliches V-Mann-Unwesen“ gegeben. Parteiübergreifend sei im Ausschuss der Einsatz von V-Leuten kritisiert worden. „Es waren gekaufte Spitzel und bezahlte Täter“, sagte Pau.

Symptomatisch sei der V-Mann Corelli alias Thomas Richter (1976-2014) gewesen. Er war 18 Jahre lang Top-Quelle des Bundesamtes für Verfassungsschutz und erhielt mehrere hunderttaussend Euro dafür. Er war in der Neonazi-Szene in Sachsen und Sachsen-Anhalt aktiv und kannte auch das NSU-Trio. „Er wurde vom Verfassungsschutz wieder in die Szene reingedrückt, nachdem er sich lossagen wollte“, sagte Pau. Das Innenministerium versagte dem Untersuchungsausschuss Informationen zu Corelli. Dieser verstarb 2014 mit 39 Jahren an einem Zuckerschock – wohl ohne Fremdverschulden. „Ohne dem Ausschuss vorzugreifen, ist diese Version, wenngleich sie mysteriös anmutet, wohl wahr“, sagte Pau. Es gebe mittlerweile viele Veschwörungstheorien um den NSU. „Alle müssen ein Interesse daran haben, dass alles lückenlos aufgeklärt wird.“