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Ogema Nach der Euphorie kam das Ende

Zwischen Verfall und Vergessenheit hat sich die ehemalige Gemüse- und Obstkonservenfabrik in Stendal befunden, bis jetzt.

Von Anne Toss 18.02.2017, 00:01

Stendal l Mit Beginn der Sommermonate wurden sie massenweise in die Arneburger Straße transportiert: Erbsen. Tagtäglich brachte die Bahn 45 Güterwaggons aus Holland auf das Gelände der „Großeinkaufs-Gesellschaft Deutscher Consumvereine“, kurz GEG genannt, die ihren Sitz in Hamburg hatte und einen Betrieb in Stendal unterhielt. Die Erbsenschoten, die sich pro Waggon einen halben Meter hoch stapelten, reichten gerade einmal für eine Tagesproduktion. Denn in den zwanziger Jahren stand die GEG Gemüse- und Obstkonservenfabrik noch in voller Blüte, allein mit der Erbsenverarbeitungsanlage konnten 100.000 Konservendosen pro Tag produziert werden.

Wer heute an dem ehemaligen Fabrikgelände vorbeigeht, kann sich die damalige Betriebsamkeit, den Trubel, der auf dem Fabrikgelände geherrscht haben muss, nur schwer vorstellen. Von einem Großbetrieb, in dem rund 900 Menschen gearbeitet haben, in dem es Speisesäle, moderne Badeeinrichtungen und eine Krankenstube gab, ist nur noch eine Ruine übrig. Das aus rotem Klinker erbaute Gebäude wurde dem Verfall preisgegeben.

Dass die Fabrik so enden würde, hat nach der Gründung im Jahr 1902 wohl niemand geahnt. Bald reichte das Obst und Gemüse aus der Altmark nicht mehr aus, um die Kapazität auszulasten, daher wurde aus anderen Gegenden und aus dem Ausland zugeliefert. Gleiches galt für die Maschinen: Die Erbsenverarbeitungsanlage, die 1928 beschafft wurde, kam ursprünglich aus New York.

Doch die Konservenfabrik in der Arneburger Straße war nicht die einzige ihrer Art in Stendal. Auch an der Osterburger Straße existierte eine solche Fabrik, die 1900 gegründet wurde. Hier sollen zwischen 300 und 400 Mitarbeiter gearbeitet haben.

Ein Name, der beide Standorte verbindet, ist Paul Wagenführ – 1882 geboren, von Beruf Kaufmann. In einem Adressbuch aus dem Jahr 1914 wird er erstmals als Fabrikdirektor des Betriebes an der Osterburger Straße erwähnt. Zehn Jahre später taucht Wagenführ dann als Direktor für beide Konservenfabriken auf, diese Doppel-Funktion hatte er bis 1932 inne. Danach zieht er mit seiner Familie in die Rathenowerstraße und betreibt, weiterhin als Konservenfabrikant, ein Geschäft in der Breite Straße, ehe sich seine Spur verliert.

Dass zwischen den Standorten auch nach dem Zweiten Weltkrieg und der Gründung der DDR eine Verbindung bestand, bestätigt der Stendaler Frank Schattner, der von 1983 bis 1993 in dem aus der GEG hervorgegangenen VEB Ogema (Obst-Gemüse-Marmelade) gelernt und gearbeitet hat. „Die beiden Fabriken haben zusammengehört, in der Osterburger Straße befand sich sozusagen eine kleine Zweigstelle. Allerdings bin ich nie selbst dort gewesen“, berichtet Schattner.

Der 49-Jährige wuchs in und mit der Ogema auf, besuchte als Kleinkind den betriebseigenen Kindergarten, während seine Mutter in der Fabrik arbeitete. An seine Zeit als Maschinenanlagemonteur in der Ogema hat er viele Erinnerungen: „In der Juice-Bude, so haben wir das Gebäude genannt, wurde Orangensaft hergestellt. In riesengroßen Waggons wurde dafür Zucker und Zitronensäure gebracht.“ Das Hauptgeschäft sei aber mit Rotkohl und Mischgemüse gemacht worden.

Im Sommer sprangen Schattner und seine Kollegen zum Abkühlen oft in den Feuerlöschteich hinter der Villa, in der der Betriebsdirektor und Abteilungsleiter gewohnt haben. „In der Mittagspause sind wir da oft baden gegangen“, sagt er und lacht.

Doch mit dem Fall der Mauer zerfiel Stück für Stück auch die Ogema. Während sich die Mitarbeiter im Juni 1991 noch darüber freuten, dass die Produktion wieder anlief, waren ein Jahr später nur noch Frust und Enttäuschung übrig. Von den ehemals 420 Mitarbeitern waren mittlerweile bis auf 13 alle entlassen. Das Betriebsgelände glich einer Geisterstadt.

Am Pranger standen damals die Treuhand in Magdeburg sowie der damalige Geschäftsführer und Betriebsleiter. Denn obwohl das Grundstück samt Immobilien anfangs auf 3,8 Millionen Mark geschätzt wurde, ging der Besitz für 700 000 Mark an die Gattinen des Geschäftführers und des Betriebleiters. Die Treuhand, die den Kauf vermittelt hat, habe die GmbH so um drei Millionen Euro gebracht, lautete der Vorwurf. Diese Begebenheit hat der Ogema wohl das Genick gebrochen.

Frank Schattner meint: „Ich hätte heute noch dort arbeiten können, wenn die es nicht kaputt gemacht hätten.“