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Chorfest im Oberharz Musik verbindet alle auf der Welt

Die Chöre der Stadt Oberharz haben zum fünften Mal ihr Chorfest gefeiert. Diesmal mit Asylsuchende aus Syrien.

Von Katrin Schröder 29.09.2015, 01:01

Sorge l So viel Trubel hat das Hotel „Sorgenfrei“ nur selten erlebt. Im Eingangsbereich sitzen junge Männer und unterhalten sich, Frauen tragen ihre Babys, die größeren Geschwister flitzen herum und äugen neugierig in den Saal des Gasthofs in Sorge. Dort singt die Trachtengruppe Benneckenstein vom „schönen Harzer Land“. Rund 100 Sänger aus verschiedenen Oberharzorten haben am Sonntag ihr diesjähriges Chorfest in Sorge gefeiert. Trotz mancher Einschränkungen ist dies gelungen, sagen Organisatoren und Mitarbeiter des Hotels.

Als die Sänger ihr Chorfest planten, hat noch niemand geahnt, dass das Sorger Hotel im September von Asylbewerbern bewohnt sein wird. Rund 150 Flüchtlinge aus Syrien waren am Sonntag noch dort untergebracht, am gestrigen Montag ist der größte Teil von ihnen nach Magdeburg gebracht worden. Doch die Sänger haben sich bewusst gegen eine Verlegung des Festes entschieden – auch um ein Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit zu setzen. „Es war ein logistisches Risiko, doch es hat sich gelohnt“, sagt Reiner Schomburg vom Organisationsteam.

Die Mitarbeiter hatten alle Hände voll zu tun, um Gästen und Bewohnern gerecht zu werden. Letztere halfen, zum Beispiel beim Kaffeeausschank. Hotelchef Hans Dorrestijn sieht die Situation positiv: „Ich finde das super. Mehr Integration geht nicht. Vielleicht herrscht etwas Chaos, aber das ist nicht so schlimm.“

Die Asylbewerber verfolgten das Fest interessiert. „Die Syrer finden das toll, sie sind begeistert“, sagte Andreas Sauer, stellvertretender Betriebsleiter im Hotel. Osama Diab revanchierte sich mit einem Ständchen und erntete begeisterten Applaus für seinen Vortrag. „Ich habe ein trauriges, arabisches Lied gesungen. Es handelt von der Sehnsucht nach der Familie, die an einem anderen Ort ist“, verriet der 30-Jährige aus Damaskus. Das Stück passt zu seiner Situation. Der studierte Pharmazeut ist mit seinem Bruder aus seiner Heimatstadt geflohen. „Der Tod ist allgegenwärtig. Wer auf die Straße geht, läuft Gefahr getötet zu werden – und man weiß nicht einmal, von wem.“ Den Rest der Familie mussten sie zurücklassen – das Geld hat nicht gereicht, um alle auf die Reise zu schicken.

Ähnlich geht es Muhammad Al-Fawaz. Er stammt aus dem Osten des Landes, nahe der Grenze zum Irak. „Ich habe alles verloren – mein Haus, mein Auto, meine Universität. Ich bin geflohen, weil ich fürchtete, auch mein Leben zu verlieren. Der Krieg ist überall.“

Bei Christel Liebetruth wecken die Bilder von der Flucht der Syrer Erinnerungen an die eigene Geschichte. „Ich komme aus einer Flüchtlingsfamilie“, berichtete die Benneckensteinerin. Man dürfe nicht vergessen, was den eigenen Eltern und Großeltern widerfahren ist. „Es ist doch furchtbar, was die Syrer alles auf sich nehmen müssen“, sagte sie nachdenklich.

Nach einem Aufruf der Sänger haben viele Oberharzer Mützen, Schals und Kleidung für die Flüchtlinge gespendet. „Der nächste Winter kommt bestimmt, und die wenigsten bringen warme Sachen mit“, so Schomburg. Viele Sorger unterstützen die Menschen in der Unterkunft, bringen Spenden und helfen ehrenamtlich. „Es ist überwältigend“, sagt Andreas Sauer vom Hotel. „Es ist bemerkenswert, wie konstruktiv die Einwohner mit der Situation umgehen“, lobt auch Bürgermeister Frank Damsch (SPD). Das Chorfest könne zu weiterer Annäherung beitragen. „Die Sprache, die jeder auf der Welt versteht, ist die Musik.“