Fachwerkhaus Eine Frau auf dem Bau

Sie liebt den Geruch von Holz, Lehm und Mörtel: Yvette Tockhorn saniert im Alleingang ein altes Fachwerkhaus in Wernigerode.

Von Julia Bruns 17.09.2017, 07:06

Wernigerode l Ein halbes Jahr war ihre Tochter alt, da hat sie zum ersten Mal ein Haus saniert. Das Gebäude in Ilsenburg hatte Yvette Tockhorn bei einer Zwangsversteigerung erworben, umgebaut und verkauft. Mittlerweile ist ihre Tochter 19 Jahre alt und Yvette Tockhorn ein „alter Hase“ im Baugeschäft. Derzeit saniert die Wernigeröderin ein hunderte Jahre altes Fachwerkhaus in der Johann-Sebastian-Bach-Straße – und das im Alleingang.

Ist das nicht ein wahnsinniger Kraftakt für eine Frau? „Man kann alles tragen, man muss sich nur die richtige Technik anwenden. Reine Muskelmasse wird überschätzt“, sagt die 46-Jährige. „Wenn ein Mann auf dem Bau ist, ist das ganz normal. Als Frau wird man immer doof angeschaut.“ Allein wegen dieser Blicke ziehe sie am liebsten die Plane vor der Baustelle zu und schließt die Tür ab. Nur zögerlich lässt sie sich zu einem Artikel über die Sanierung hinreißen. „Das ist doch nicht der Rede wert“, ist sie überzeugt.

Zieht sie nicht gerade Wände hoch, bedient Yvette Tockhorn in ihrem eigenen Restaurant in der Marktstraße. Wen überrascht es, dass sie auch das Domizil der früheren „Marktwirtschaft“, das heute „Casa Vita“ heißt, selbst ausgebaut hat? Das Interieur überzeugt mit edlem, rustikalem Ambiente auf verschiedenen Ebenen. Durch den Gastraum plätschert ein Bächlein vor sich hin. Wer hier speist, vermutet wohl nicht, dass die Kellnerin, die auch die Inhaberin ist, das Gebäude aus eigener Kraft wiederaufgebaut hat. „Montags ist Ruhetag. Mein Lieblingstag“, sagt sie. „Dann kann ich so lange auf meiner Baustelle arbeiten, wie ich will.“

Ihre eigene Familie würde Yvette Tockhorn viel lieber im Restaurant verorten. „Sie wünschen sich, dass ich in einer ordentlichen und sauberen Umgebung arbeite“, sagt sie. Viele hätten wenig Verständnis dafür, dass sie sich in einer Männerdomäne heimisch fühlt. Die Baustelle sei ein Rückzugsort. „Das ist wie ein Hobby. Wenn andere Fahrradfahren gehen, um abzuschalten, gehe ich auf die Baustelle“, sagt Yvette Tockhorn. „Schon als Kind habe ich mir alles zusammen genagelt“, erinnert sie sich.

Ihre Ausbildung hat sie als Elektronikerin im Messgerätewerk absolviert. „Nur das wäre mir auf Dauer zu langweilig gewesen“, sagt sie. Deshalb habe sie sich auf ihrer ersten Baustelle sämtliche Gewerke angeeignet, die es für den Hausbau braucht. Gebäude hat sie bereits am Vorwerk, in der Friedrichstraße und in der Marktstraße ausgebaut. „Wenn man ein bisschen denken und lesen kann, dann geht das schon“, sagt sie, als gäbe es nichts Leichteres. „Wenn mich was interessiert, dann sauge ich alles darüber auf, was ich wissen will.“

Derzeit ist das der Lehmbau. „Das Besondere an diesem Haus ist, dass ich ganz ökologisch mit den vorhandenen Materialien arbeite“, erklärt sie. So finden auch die alten Rogensteine wieder ihren Platz in den Wänden.

„Von Gips bin ich mittlerweile völlig weg“, sagt sie. „Lehm habe ich schon im Restaurant verarbeitet. Er schafft ein tolles Raumklima und isoliert gut.“ Guten Kontakt halte sie zu „Leuten, die so ticken wie ich“, sagt sie. Wie Dachdeckermeister Thomas Pönitz, bei dem sie sich auch mal Rat einholt. 2018 will sie die Arbeiten an dem Haus in der Straße abschließen. Vier Ferienwohnungen sollen darin Platz finden. „2017 kommen noch Fenster und Türen rein, damit ich mich im Winter dem Innenausbau widmen kann“, sagt sie.