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Gerichtsprozess Haftstrafen wegen versuchten Totschlags

Wegen versuchten Totschlags wurden zwei Männer vor dem Landgericht Dessau-Roßlau zu Haftstrafen verurteilt. Sie attackierten einen Zerbster.

Von Andreas Behling 21.03.2017, 23:01

Zerbst/Dessau l Die beiden Männer aus Dessau – 20 und 23 Jahre alt –, die in den Nachtstunden des 30. Juni 2016 auf dem Zerbster Bahnhof einen pakistanischen Staatsangehörigen zunächst beleidigt und bedroht, dann gejagt und mit Schlägen und Tritten massiv attackiert haben, müssen für längere Zeit in Haft. Gegen den jüngeren Angeklagten verhängte die 2. große Jugendkammer des Landgerichts Dessau-Roßlau eine Einheitsjugendstrafe von vier Jahren. Der andere Täter muss für sechseinhalb Jahre ins Gefängnis. Für beide ordnete das Gericht unter dem Vorsitz von Uda Schmidt die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt an. Der 23-Jährige muss allerdings ein Jahr und drei Monate Haft vorab verbüßen.

Verurteilt wurde das Duo wegen gefährlicher Körperverletzung und versuchten Totschlags. Damit nahm die Kammer vom Tatvorwurf des versuchten Mordes Abstand. Die Vorsitzende Richterin hielt gestern gleich zu Beginn der gut 30-minütigen Urteilsbegründung fest, dass das Duo „allein aufgrund einer ausländerfeindlichen Gesinnung massiv gewalttätig“ geworden sei. Auch im weiteren Verlauf fand dieses Motiv mehrfach Erwähnung. Der Pakistaner, den die Dessauer überhaupt nicht kannten und der sich überhaupt nicht provozierend verhielt, sei „aufgrund seiner Eigenschaft als Ausländer“ ins Visier der Dessauer geraten.

„Scheiß Ausländer! Wir bringen dir jetzt die deutsche Sprache bei!“ seien die Rufe gewesen, mit denen sie ihn behelligten. Zudem flog eine halbvolle Bierflasche in Richtung des 34-Jährigen. Die zerschellte jedoch unterwegs an einem Pfeiler. Vom zweiten auf den ersten Bahnsteig wechselnd, versetzte dann der 20-Jährige dem Opfer mit beiden Händen einen Stoß vor die Brust. Trotz eines schweren Rucksacks ergriff der Pakistaner die Flucht. Am Ende des Bahnsteigs zu Fall gekommen, prügelten und traten die Angeklagten auf ihn ein. Erst neben, dann auf den Gleisen.

Inzwischen war der Zug, den der Geschädigte eigentlich erreichen wollte, wieder ins Rollen gekommen. Dies bekamen die Angeklagten mit. Ihr Opfer einfach auf den Gleisen zurücklassend, war es ihnen aus der Warte des Gerichts egal, ob es überrollt und getötet wurde. Reiner Zufall und pures Glück sei es gewesen, so die Vorsitzende, dass der benommene und verletzte Mann, der sich aufrappeln konnte, im richtigen Winkel vom Puffer der Lok getroffen und nicht ins, sondern aus dem Gleisbett geschleudert wurde. Dass der jüngere Angeklagte seinen Tatbeitrag herunterspielte, nahm ihm das Gericht nicht ab. Die Männer seien „gemeinsam gewalttätig“ geworden. Zudem hätte ihnen ausreichend Zeit zur Verfügung gestanden, ohne Eigengefährdung den Geschädigten von den Schienen zu ziehen.

„Das war zumutbar. Es war nicht so knapp, dass sie nur noch das eigene Leben retten konnten“, sagte Uda Schmidt. Der Pakistaner habe sich aufrichten können. Es seien also ein paar Momente bis zum Aufprall vergangen. Außerdem habe der Lokführer keine andere Person im Lichtkegel gesehen. „In der Beweisaufnahme konnten wir nicht feststellen, dass das Opfer bewusst auf die Gleise gezogen oder gezerrt wurde“, hielt die Richterin fest. Die Aussagen dazu seien widersprüchlich gewesen. Gleichwohl habe die Annäherung des Zuges eine Zäsur gebildet. Mit dem neuen Tatanschluss, den Verletzten dort zu lassen, wo er lag, liege ein Tötungsvorsatz vor. „Es war versuchter Totschlag durch Unterlassen.“ Dass in dieser Phase das Motiv des Ausländerhasses handlungsleitend war und einen niedrigen Beweggrund darstellte, konnte das Gericht allerdings nicht ausmachen. Daher sei es nicht zu einer Verurteilung wegen versuchten Mordes gekommen.

Davon waren sowohl Staatsanwalt Jörg Blasczyk als auch Felix Isensee, der den Pakistaner in der Nebenklage vertrat, in ihren Plädoyers ausgegangen. Isensee hatte daher für den älteren Angeklagten eine lebenslange Freiheitsstrafe gefordert. Für den jüngeren Mann hielt er eine siebenjährige Freiheitsstrafe gemäß Jugendrecht für angemessen. Blasczyk kam derweil zum Ergebnis, dass der 23-Jährige für siebeneinhalb Jahre ins Gefängnis sollte. Beim 20-Jährigen waren es viereinhalb Jahre. Die Verteidiger Marco Bennewitz und Sven Tamoschus forderten für ihre Mandanten jeweils drei Jahre und sechs Monate Haft. Sie sahen den Tatbestand einer gefährlichen Körperverletzung erfüllt.

Mit seinem Urteil, das noch nicht rechtskräftig ist, bewegte sich das Gericht zwischen beiden Polen. Es gelangte darüber hinaus zu der Auffassung, dass beide Angeklagte aufgrund ihrer Alkoholabhängigkeit und gestörten Persönlichkeitsstruktur vermindert schuldfähig waren. Für den einen wie den anderen war somit die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anzuordnen. Die Kammer ging jeweils von positiven Erfolgsaussichten aus.