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Generalsekretär der Gesellschaft für Auswärtige Politik sieht Entwicklung kritisch. Von Peter Wendt Kaum etwas übrig vom "Arabischen Frühling"

31.01.2014, 01:16

Vom "Arabischen Frühling" ist drei Jahre nach dessen Beginn in Tunesien kaum etwas geblieben. In Ägypten sehen sich die Revolutionäre betrogen, in Syrien tobt ein Bürgerkrieg und Libyen droht am Streit der Stämme zu zerfallen. Diese Einschätzung traf der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), Botschafter a.D. Paul Freiherr von Maltzahn, in einem Vortrag vor dem Lions Club Wernigerode.

"Der einzige Lichtblick in der Region ist die Entwicklung in Tunesien mit der Annahme einer liberalen Verfassung", betonte der Diplomat. "Diese verankert die Gleichstellung von Mann und Frau, sieht die Bildung politischer Parteien vor und garantiert Redefreiheit. Man kann sagen, dass sich Tunesien noch am ehesten auf dem Weg zur Demokratie befindet - bis auf weiteres zumindest", so von Maltzahn.

Drei Jahre nach dem Sturz des Machthabers Zine El Abidine Ben Ali und nach einer schweren politischen Krise infolge des Mordes an dem Oppositionspolitiker Mohamed Brahmi im Juli vergangenen Jahres hatten Präsident Moncef Marzouki, Regierungschef Ali Larayedh und der Vorsitzende der Nationalversammlung Mustapha Ben Jafaar Anfang der Woche das neue Grundgesetz unterschrieben. "Dieses kann als wegweisend für die arabische Welt gelten", meinte der DGAP-Generalsekretär.

Demokratisierung ist Frage der Bildung

Von Maltzahn, der unter anderem Botschafter der Bundesrepublik in Ägypten, im Iran und in Indonesien sowie von 2009 bis 2010 als Leiter der deutschen Vertretung im Irak war, stellte fest, es sei so gekommen, wie es habe kommen müssen. Er habe schon vor drei Jahren, als der "Arabische Frühling" in Tunesien begann und sich in Ägypten auf dem Kairoer Tahrir-Platz fortsetzte, "Zweifel gehabt, dass dies eine Fortsetzung der demokratischen Entwicklungen in Mittel- und Osteuropa von 1989/90 war und dass westliche Werte nach Nordafrika gebracht werden könnten. Ich war verblüfft, dass gestandene Politiker der Vorstellung verfallen waren, dass die Stunde der Demokraten gekommen sei. Schließlich gehören zu einer Demokratie Rechtsstaatlichkeit und eine unabhängige Justiz. Und die gab es nicht." Von Maltzahn widersprach indes der Auffassung, dass Islam und Demokratie nicht kompatibel seien. Die Kompatibilität beider sei "eine Frage der Bildung", stellte er fest. "In Tunesien gibt es ein relativ breites Bildungsbürgertum und eine starke Gewerkschaftsbewegung. Deshalb gibt es hier die besten Chancen für eine demokratische Entwicklung."

Der DGAP-Generalsekretär hob hervor, er habe sich seinerzeit "energisch gegen die Intervention in Libyen gewandt, denn was dort geschah, hatte nichts mit einem Aufstand von Demokraten zu tun, es war eine tribale Angelegenheit".

Wenig optimistisch äußerte sich der DGAP-Generalsekretär zur Entwicklung in Syrien. "Eine Lösung wird sehr, sehr schwierig. In dem Land haben die Alawiten, die nur zwölf Prozent der Bevölkerung ausmachen, dank der französischen Mandatsherrschaft die Macht. Es sind wenige Schiiten, die über die große Masse der Sunniten herrschen. Da ist viel Hass. Wie könnte Präsident Baschar al-Assad also freie Wahlen zulassen, wenn er weiß, dass er keine Mehrheit bekommt? Das macht eine friedliche Lösung nahezu aussichtslos." Von Maltzahn erinnerte an das Vorgehen des Regimes unter Hafez al-Assad, Vater des jetzigen Staatschefs, gegen die Muslimbrüder in der Stadt Hama, dem damals schätzungsweise 30 000 Menschen zum Opfer fielen.

Anders als in Tunesien und Ägypten sei in Syrien der Aufstand nicht von den städtischen Zentren ausgegangen, sondern von der vernachlässigten Grenzregion zu Jordanien um Deraa. Von dort habe sich der Aufstand dann in den sunnitischen Gürtel mit Homs, Hama und Idlib ausgeweitet. Der DGAP-Generalsekretär verwies auf die Unterstützung Saudi-Arabiens und Katars für extremistische Rebellengruppen in dem Bürgerkrieg.

Ägypten erlebt Phase der Restauration

Was Ägypten angeht, so seien "die jungen Demokraten um den Sieg gebracht worden, nachdem die Muslimbrüder die Wahlen gewonnen haben", stellte von Maltzahn fest. Und die Amerikaner hätten erneut feststellen müssen, dass bei den demokratischen Wahlen, auf die sie gedrungen hatten, die Falschen gewonnen haben - wie zuvor schon im Gaza-streifen, wo nicht die gemäßigte Fatah, sondern die radikalere Hamas den Sieg errungen hatte. "Wir sind in Ägypten in der Demokratenfalle", sagte der Diplomat. "Der demokratisch gewählte Präsident wurde - auch wenn die Amerikaner den Begriff vermeiden - durch einen Militärcoup gestürzt. Inzwischen ist der Weg frei für Feldmarschall al-Sisi ins Präsidentenamt." Von Maltzahn schätzte ein: "In Ägypten erleben wir eine Restauration, die weiter zurückgeht als bis zu Mubarak. Die Unterdrückung der Muslimbrüder ist rigoroser als unter dem früheren Präsidenten. Und der Widerstand der Muslimbrüder wird deshalb noch stärker werden, die Unruhen werden anhalten. Die Unterdrückung kann zu einer Radikalisierung führen." Dies sei natürlich Gift für den Tourismus, der eine der Haupteinnahmequellen des Landes ist.

Als "kleinen Lichtblick" bezeichnete von Maltzahn die Entwicklung im Iran. "Die Wahl Hassan Ruhanis zum Präsidenten ist eine Überraschung gewesen. Es war eigentlich davon auszugehen gewesen, dass den Wahlsieg entweder der Atomunterhändler Saeed Jalili oder der Teheraner Bürgermeister Mohammad Baqer Qalibaf erringen würde, da die beiden die engeren Beziehungen zum Obersten Revolutionsführer Ali Khamenei hatten. Ruhani ist kein wirklicher Reformer", schätzte der Diplomat ein. "Er ist ein liberaler Konservativer. Er wurde gewählt, weil er in der Außenpolitik, besonders in der Nuklearpolitik, versöhnliche Töne anschlug und wirtschaftliche Verbesserungen in Aussicht stellte", erklärte von Maltzahn. Er verwies auf das von fünf Vetomächte im Uno-Sicherheitsrat (USA, Großbritannien, Frankreich, Russland und China) sowie Deutschland mit Iran im November erzielte vorläufige Abkommen, nach dem die Anreicherung von Uran auf 20 Prozent ausgesetzt und der Schwerwasserreaktor in Arak nicht hochgefahren wird.

Entwicklung im Iran ein "kleiner Lichtblick"

Im Gegenzug habe die EU das Einfuhrverbot für petrochemische Produkte aufgehoben und erlaubte auch wieder den Handel mit Gold, so von Maltzahn. Die EU lockere auch Einschränkungen des Zahlungsverkehrs mit dem Iran. Vom 1. Februar an könne der Iran stufenweise auf 4,2 Milliarden Dollar aus bisher gesperrten Einkünften aus Rohölverkäufen zugreifen. "Damit können unter anderem wieder Autoersatzteile importiert werden, wovon nicht zuletzt VW profitiert." Von Maltzahn verwies darauf, dass sich die deutschen Ausfuhren nach Iran zurzeit auf lediglich 1,5 Milliarden Dollar im Jahr beliefen, während Chinas Exporte in den Iran ein Volumen von 50 Milliarden Dollar erreichten.

Irans Außenminister Mohammed Dschawad Sarif werde zur Münchner Sicherheitskonferenz und anschließend nach Berlin kommen - und dabei auch bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik vorbeischauen, teilte deren Generalsekretär mit.