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Tobias und Tabea Wollner Reise ins Herz eines Träumers

Am Donnerstag feierte in der ausverkauften Magdeburger Feuerwache das neue Bühnenprogramm der Geschwister Tabea und Tobias Wollner "Rio\'s Scherben" eine begeisternde Premiere.

Von Jan Kubon 09.05.2015, 01:23

Magdeburg l "Es hat eine Zeit gedauert, bis wir bei Rio waren, auch weil wir das Gefühl hatten wir müssten uns diesem Träumer, Revoluzzer und genialen Lyriker ganz besonders genau und konzentriert nähern", sagt Tobias Wollner vor der Premiere. "Einfach auch, um ihm gerecht zu werden. In all seinen Facetten."

Das Warten hat sich gelohnt. "Rio\\\'s Scherben" ist eine wirklich gelungene Hommage an den Musiker - szenisch wie musikalisch, ohne überflüssigen Pathos, aber mit ganz viel Herz und Leidenschaft.

Die Bühne ist fast leer, ein Piano, ein Mikrofonständer und zwei Stühle. Tobias Wollner betritt die Szene, schnell wird klar - er ist der Neue in der Kommune. Ordentlich belegt er mit ein paar A4-Blättern seinen Platz zum Leben. Er hat sich eingerichtet in der wilden Welt einer WG. Dann stürmt Tabea die Bühne, verteilt zerknülltes Zeitungspapier und macht klar: Sie ist der Boss, sie kennt sich hier aus, und er - der Kommunennovize - müsse noch viel lernen. Die Rollen sind klar verteilt. Ordnung versus Chaos, Ratio versus Emotion, Vorsicht versus Waghalsigkeit.

Eintauchen in die Rio-Welt

Ein szenisches Duell und Duett, das das ganze Programm über trägt - auch wenn sich zwischendurch die Charaktere verändern und verhärtete Lebensstandpunkte in Scherben zerfallen, um als Lebensalternativen (gerade im zweiten Teil des Abends) wieder aufzuerstehen.

Dann der erste Song - quasi die Einladung an das Publikum, einzutauchen in die Rio-Welt der Wollners: "Komm, lass uns das Ding drehn". Gekonnt, sicher und sehr geschmackvoll begleitet Tobias Wollner vom ersten Ton an seine Schwester am Piano, wechselt später sogar noch ans Akkordeon und wird zum Gesangssolisten. Tabea Wollner, weiß geschminkt, in Zimmermannskluft und großem Hut, geht mit gewohnt brillanter Gesangsleistung sofort in den Songs von Rio Reiser auf.

Es folgt "Der blinde Passagier" vom gleichnamigen Reiser-Album aus dem Jahr 1987. Großartig, wie die beiden diese hämmernde Rockballade für ihr kleines Instrumentarium bearbeitet haben. Das Reduzieren auf das Wesentliche als künstlerisches Prinzip, das am Ende des Abends mit Standing Ovations und Bravorufen zu Recht honoriert wird.

Zwischen den Songs diskutieren die beiden hoch komödiantisch, aber nie kalauernd Probleme des Kommunenlebens, der Welt und der Liebe. Die Dialoge sind klug geschrieben; hervorragend gespielte Intermezzi machen auch dem Nicht-Rio-Reiser-Kenner klar, worin die künstlerische Intention des Ton-Steine-Scherben-Sängers lag. Er war ein Rufer für Toleranz, ein Träumer, ein Liebender - aber auch ein Zweifelnder, ein zerbrechlicher Künstler. Alle diese Facetten spiegeln die beiden Musiker in ihrem Programm.

Hochenergetisches Künstlerpaar

Den Lebensalternativen widmet sich der zweite Teil. Es geht um Hoffnung ("Hoffnung"), das Weggehen ( "Dahin" und "Ich komm nicht mehr nach Haus"), es geht um Wünsche ("Lass uns ein Wunder sein") und es geht um den Willen nach Veränderung ("Der Traum ist aus").

Tabea und Tobias Wollner agieren den ganzen Abend als hochenergetisches Künstlerpaar. In dem Lied "Stiller Raum", einem von vielen musikalischen Höhepunkten des Abends, sitzen sie zum Schluss beide am Piano - da wird die Einheit auch dramaturgisch sichtbar, ohne schmalzig oder aufgesetzt zu wirken.

Nach über zwei Stunden Programm beenden sie einen intensiven, bezaubernd schönen Abend mit dem Reiser-Song "Vier Wände". "Hier fühle ich mich beschützt, hier muss ich nur sein, wie ich es will", singt Tabea zu den Schlussakkorden in Moll. Kurz Stille, dann braust der Applaus auf, etliche Vorhänge und zwei Zugaben ("Junimond" und "Über´s Meer") folgen. Festzuhalten ist: "Rio\\\'s Scherben" ist ein Meisterwerk der Kleinkunst und dringend zu empfehlen.