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9. Internationales Brahms-Chorfestival Ehre für die Müllers aus Taipeh

Riesenfreude bei den Gewinnern des Brahms-Preises und stürmischer Jubel des Publikums in Wernigerode am Sonnabend: Der "Müller Chamber Choir" aus Taipeh hatte schon als Sieger in drei Kategorien je ein Goldenes Diplom abgeräumt. Nun krönte der Großpreis des 9. Brahms-Wettbewerbs Festivals die 30 Sänger und ihre Dirigentin Meng-Hsien Peng. Sie boten Weltspitze.

Von Hans Walter 20.07.2015, 00:57

Wernigerode l Vorausgegangen waren die Chorwettbewerbe in elf Kategorien. Im Konzert der Kategoriesieger - sie mussten mindestens den Gold-Status mit über 20 Wertungspunkten erreicht haben - wetteiferten fünf Chöre mit je zwei Titeln am Nachmittag um den Großpreis. Eine Gala der Besten, wofür sie noch einige ihrer Highlights aufgespart hatten.

Der große Li Wan-Kinderchor aus Guangzhou (Volksrepublik China) eröffnete den Reigen mit einer Botschaft an den Frühling. Sehr modern in der Auffassung, bewegt, mit tonalen Rückungen und Klangschichtungen. Mit einem Trommelsolo und einem hymnischen Schluss. Die Dirigentin Li Hui Kun hielt ihren Chor straff zusammen, ohne die kindliche Freude am Singen zu unterdrücken. Den Mädchen und Jungen sah man sie einfach an. Sie bekam den Dirigenten-Sonderpreis des Brahms-Wettbewerbs.

Aus Moskau dann "Altro Coro", ein aus je zehn jungen Damen und Herren bestehendes Ensemble für zeitgenössische Musik. Sie musizierten Eric Whitacres frühestes Werk "Waternight" (1995) und Sergei Rachmaninow. "Die Nacht - wie die furchtsamen Augen eines Pferdes in der Dunkelheit. Nacht mit den Augen des Wassers. Wie ein Wassertropfen in einem schlafenden Feld ..." - so die deutsche Übertragung des Anfangs der "Waternight". Surrealistische Texte und Töne verweben sich in wundersamen Clustern voller Dissonanzen, lösen sich auf in Harmonien, um zum Schluss wieder dissonant zu enden. Dann wechselte der Dirigent Aleksandr Ryshinskiy überzeugend die Stilistik - spätromantisch, schwelgerisch, tonal, am Ende wie ein Hauch verweht. Für "Paternoster" von Alfred Schnittke bekamen die Moskauer übrigens auch einen der drei Sonderpreise.

Aus Lagos in Nigeria kam der gemischte "Mountain Top Chorale" unter Leitung von Aderayo Oyegbade. Die Teilnahme in Wernigerode wurde erst durch Spenden des Lions-Club "Anna zu Stolberg" ermöglicht. Zudem hatte einer der Herren den Fuß gebrochen, wurde im Rollstuhl zur Bühne gebracht - und hielt dann stehend durch. Besonders das Spiritual "Joshua Fought The Battle Of Jericho" war hinreißend-druckvoll, kämpferisch, von Solopassagen und von wechselndem Einsatz der Männer- und Frauenstimmen geprägt. Temperament pur.

Dann der "Müller Chamber Choir" - blutjunge Kerle, die vom Barocktitel bis zur Spätromantik meisterhaft die Stilistiken beherrschten. Selbstverständlich sangen sie auswendig; traumwandlerisch sicher interpretierten sie das "Traumlicht" von Richard Strauss/Friedrich Rückert auf Deutsch. Sie wussten, was sie sangen! Junge Stimmen voller Süße, voller Ausdruckskraft, ohne Sprachbarrieren. Sie schufen damit ein grandios expressives Liebesbild. Ganz außergewöhnlich auch ihre Dirigentin Meng-Hsien Peng. Sie sang nicht mit, gab keine Einsätze, keine Phrasierung vor. Beide Hände in Wellenbewegung. Aus ihrem Dirigat flossen sanfte Energieströme. Und ihre sensiblen Männer nahmen sie auf. Es war zauberhaft.

Zum Schluss stellte sich "Ars Cantandi" vor, der Chor der Ökonomie-Universität in Wrocaw (Polen). Die Damen und Herren brachten das melancholische "Herbstlied" von Felix Mendelssohn Bartholdy und ein sakrales Werk des 1935 in Estland geborenen Arvo Pärt zu Gehör. "Ach, wie so bald verhallet der Reigen! Ach, wie so bald in trauerndes Schweigen wandelt sich alle die Fröhlichkeit!" bei Mendelssohn; ein fast archaischer Lobpreis Gottes und der menschlichen Seele bei Pärt. Die Dirigentin Anna Grabowska-Borys ziselierte Klänge voller Emotionalität.

Welcher Chor würde den Brahms-Großpreis gewinnen? Keine leichte Aufgabe für die hochkarätige internationale Jury unter Vorsitz von Prof. Dr. Ralf Eisenbeiß.

Zwei Stunden später auf dem Marktplatz, in Wernigerodes "guter Stube", vor dem mit den Fahnen Deutschlands, mit den Stadtfarben und mit Picassos Friedenstaube geschmückten Rathaus, stand fest: Taipeh macht das Rennen! Die "Müllers" überzeugten noch einmal mit Außergewöhnlichem - mit einem choreografierten Folkloresong aus Taiwan. Mitreißend, ursprünglich, kraftvoll! Wie der 9. Brahms-Wettbewerb insgesamt.