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Internationaler Gutachter für Atomanlagen geht von langwierigen Folgen für Japan aus Evakuierte Bevölkerung kann auf unabsehbare Zeit nicht zurückkehren

14.03.2011, 04:34

Von Steffen Mayer

Selbst wenn es in Japan nicht zu einem Super-GAU kommt, wird das Land noch jahrelang mit den Folgen der Atomunfälle zu kämpfen haben. Die Kernreaktoren in Fukushima, in denen es zur Kernschmelze kam, müssen noch über Jahre gekühlt werden. Das sagte der Atomexperte Mycle Schneider, der international als Gutachter für Atomanlagen tätig ist.

"Die Entscheidung mit Meerwasser zu fluten, um die Reaktoren zu kühlen, war die letzte Maßnahme und bedeutet, dass die Anlage aufgegeben wurde." Es gehe nur noch darum, ein Durchschmelzen des Reaktorkerns zu verhindern und die Emissionen gering zu halten. Die Anlage wird dabei ruiniert. "Wenn Sie den Reaktordruckbehälter mit einem Schnellkochtopf vergleichen, heißt das, der wird jetzt nicht mehr etwas gekühlt, sondern komplett in der Badewanne versenkt", erklärte Schneider.

Dann setze ein Jo-Jo-Effekt ein: "Die Temperatur im Druckbehälter steigt, also wird Meerwasser hineingepumpt. Das verdampft durch die Hitze des Kernbrennstoffs und erhöht damit den Druck im System. Also muss der radioaktive Dampf abgelassen werden, was die Menge an Kühlwasser reduziert", sagte Schneider. Daraufhin steige die Temperatur im Druckbehälter wieder und es müsse erneut Meerwasser hineingepumpt werden. Dieser Prozess werde noch lange nötig sein, da die alten Brennstäbe noch jahrelang durch den Restzerfall der spaltbaren Produkte Wärme abgeben.

Deswegen könne die evakuierte Bevölkerung auf unabsehbare Zeit nicht zurückkehren. "Es ist völlig unklar, wie viel radioaktiv verseuchter Dampf abgelassen werden muss. Es ist völlig unklar, wie hoch die Strahlung ist, wie groß die Konzentration strahlender Spaltprodukte ist und wie oft in den nächsten Tagen, Wochen oder Monaten noch kontaminierter Dampf aus den Druckbehältern abgelassen werden muss", sagte Schneider. Vielleicht müsse "noch viel weitflächiger evakuiert werden als bisher".

Nach dem Gedanken "safety first" können die evakuierten Menschen nicht in ihre Wohnorte zurückkehren solange die Gefahr besteht, dass abgelassener radioaktiver Dampf vom Wind in die Wohngebiete getrieben wird. Bisher wehte der Wind die radioaktiven Wolken auf das offene Meer hinaus.

Ein Sprecher der Gesellschaft für Anlagen und Reaktorsicherheit erklärte, dass Fachleute mit einer Zeit von mindestens vier bis fünf Jahren rechnen, bevor sich etwas an der Lage im Reaktor ändert. Das hätten die Erfahrungen nach der Kernschmelze im amerikanischen Reaktor "Three Mile Island" in Harrisburg gezeigt. In dieser gesamten Zeit müsse sichergestellt werden, dass richtig gekühlt wird, sagte der Sprecher. "Erst dann ist es möglich, an eine Entsorgung zu denken. Diese wird auf jeden Fall sehr aufwändig, kompliziert und teuer. Vielleicht muss sie komplett unter Wasser stattfinden, auf jeden Fall allerdings ferngesteuert."

Im Idealfall würde es bald gelingen, einen neuen geschlossenen Kühlkreislauf aufzubauen. Dann würde sich im Inneren des Reaktors der Druck nicht mehr so weit erhöhen, dass radioaktiv verseuchter Dampf abgelassen werden muss. "Das heißt, radioaktiv verseuchtes Wasser aus dem Reaktor würde dann in einem geschlossenen System durch einen zweiten Kühlkreislauf abgekühlt und erneut in den Druckbehälter gepumpt", erklärte der Sprecher. Der unabhängige zweite Kühlkreislauf käme nicht in Kontakt mit dem kontaminierten Wasser aus dem Druckbehälter und könne mit Meerwasser gespeist werden.

Eines der Hauptprobleme stellt derzeit der radioaktiv verseuchte Dampf dar, der aus den Druckbehältern des Reaktors 1 und 3 in Fukushima Daiichi abgelassen wurde. Für die Reaktoren 1, 2 und 4 des Kernkraftwerks Fukushioma Daini wird diese Notmaßnahme derzeit vorbereitet. "Das sogenannte ¿controlled venting‘, also das Ablassen des Dampfes um den Druck zu reduzieren, läuft über Sandfilter, die jedoch das strahlende Jod-Isotop nicht herausfiltern können", sagte Schneider. Die Bevölkerung müsse deshalb dringend Jod-Tabletten erhalten, betonte er.

Die Umgebung der Reaktoren werde durch den Dampf und den Fall Out verseucht. Schon dadurch ergibt sich eine radioaktive Belastung der Einsatzkräfte am Ort. Bisher wurden Spitzenwerte von mehr als 1000 Mikrosievert pro Stunde gemessen – das entspricht der Jahreshöchstbelastung für Menschen. Von den Druckbehältern selber gehe, solange sie dicht blieben, keine Verstrahlungsgefahr aus, erklärte Schneider.

Derzeit bestehe aber noch das Risiko einer Explosion am Reaktor 3. So lange die Temperatur der Brennstäbe über 800 Grad liegt, wird Wasserstoff frei und es besteht erhöhte Explosionsgefahr.(dapd)