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Analyse der Wahl in Nordrhein-Westfalen Wähler beeinflusste vor allem die Landespolitik

10.05.2010, 05:20

Die Abwahl von Schwarz-Gelb bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen war nach Einschätzung der Forschungsgruppe Wahlen nicht vorrangig ein Denkzettel für die Politik der Koalition aus Union und FDP in Berlin. Landespolitik prägte demnach in erster Linie die Entscheidung der Wähler. Sehr ungewöhnlich: Der Wahlverlierer und bisherige Ministerpräsident Jürgen Rüttgers konnte nicht von seinem Amtsbonus profitieren.

Die zentralen Ursachen für das Wahlergebnis lägen in NRW selbst, urteilten die Experten gestern Abend unmittelbar nach den ersten Hochrechnungen. Zwar gebe es in dem Land auch Unzufriedenheit mit der schwarz-gelben Bundesregierung, einen Denkzettel in Richtung Berlin wollten deshalb aber nach den Umfragen der Forscher nur 15 Prozent der Befragten erteilen. Grundsätzlich sei für 41 Prozent die Politik im Bund, aber für 55 Prozent die Politik in NRW wichtiger gewesen.

Die CDU-Verluste basierten auf einem "relativen Defizit" des Spitzenkandidaten und bisherigen Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers und seiner Partei sowie "kritischer Distanz gegenüber Schwarz-Gelb". Hinzu kamen den Wahlforschern zufolge teils massive Vertrauensverluste bei den beherrschenden Themen.

SPD und Grüne gewannen an Ansehen

Im Bereich Arbeitsmarkt etwa liegen CDU (31 Prozent, minus 7 Punkte im Vergleich zu 2005) und SPD (27 Prozent, plus 9) jetzt fast auf einem Niveau, in der Schul- und Bildungspolitik hat die CDU mit nur 27 Prozent (minus 14) ihren Kompetenzvorsprung von 2005 klar an die SPD (34 Prozent; plus 6) verloren. Das künftige Schulsystem war für 78 Prozent, die Griechenland-Krise hingegen für 56 Prozent und die CDU-Affären im Land nur für 38 Prozent der Befragten bei der Wahlentscheidung relevant.

Während die bisherigen Regierungsparteien im Land heute ähnlich bewertet werden wie zur Wahl 2005, konnten SPD und besonders die Grünen ihr Image unter Schwarz-Gelb klar verbessern: 2005 waren die Grünen auf der +5/-5-Skala noch mit minus 0,5 bewertet worden, jetzt erhalten sie einen Wert von plus 0,8. Die SPD kann sich von 0,7 vor fünf Jahren auf 1,4 steigern und wird damit auch deutlich besser eingestuft als die CDU, die fast unverändert 1,0 (2005: 0,9) erreicht. Der liberale Regierungspartner bleibt mit minus 0,5 weiter im Negativbereich (2005: minus 0,3).

Wahlverlierer Rüttgers habe weder die "mäßige Regierungsbilanz" noch die "Kompetenzdefizite seiner Partei" kompensiert. Er sei mit SPD-Spitzenkandidatin Hannelore Kraft aber auch auf eine Herausforderin getroffen, "die sich in extrem kurzer Zeit im Wahlkampf ein sehr positives Image erarbeiten konnte".

Rüttgers erreicht beim Ansehen einen Wert von 1,2 und bleibt damit nicht nur klar hinter seinen SPD-Vorgängern Peer Steinbrück (2005: 1,7), Wolfgang Clement (2000: 1,9) oder Johannes Rau (1995: 2,7) zurück, sondern auch hinter Gegnerin Kraft mit jetzt 1,6. "Die SPD Spitzenkandidatin polarisiert weniger stark und gilt als sympathischer sowie bürgernäher", urteilen die Experten.

Rüttgers habe einen relativen Vorteil beim "Sachverstand" und der "Tatkraft", zeige aber ein "auffälliges Glaubwürdigkeitsdefizit". 40 Prozent wollten Rüttgers, aber 43 Prozent Kraft als Regierungschef – ein im Duell von Amtsinhaber gegen Herausforderer eher ungewöhnlicher Befund, sagen die Wahlforscher.

CDU verlor in fast allen Bevölkerungsgruppen

Die CDU hat in fast allen Bevölkerungsgruppen heftige Einbußen. Besonders dramatisch fielen sie mit minus 14 Prozentpunkten in den kleineren Städten und Gemeinden (weniger als 50 000 Einwohner), minus 13 Punkten bei Arbeitern und minus 13 Punkten bei den 44- bis 59-Jährigen aus. Stark bleibe sie nur bei den über 60-Jährigen mit 43 Prozent. Ansonsten verfehle sie überall sehr klar ihr Gesamtergebnis und werde nur noch von 24 Prozent der 18- bis 29-Jährigen gewählt.

Die SPD holt nach den Experten ihr bestes Resultat mit 40 Prozent (plus 2) ebenfalls bei den über 60-Jährigen, in allen anderen Altersgruppen hat sie Verluste.

Die Grünen können demnach in jüngeren und mittleren Altersgruppen erheblich zulegen, sind mit 18 Prozent bei den 30- bis 44-Jährigen nun etwas stärker als bei den 18- bis 29-Jährigen mit 17 Prozent.

Erfolgreich in dieser Gruppe der Jung- und Erstwähler sind den Forschern zufolge mit 7 Prozent die Piraten, die FDP holt hier ebenfalls 7 Prozent (minus 3). Die Linke rekrutiere nach gewohntem Muster besonders stark bei Arbeitslosen und sei mit 16 Prozent hier fast so stark wie die CDU mit 17 Prozent.

Bei einer stark von Koalitionsdiskussionen überlagerten Wahl erzielt Rot-Grün laut den Experten mit 44 Prozent Zustimmung eine ähnlich hohe Akzeptanz wie eine große Koalition mit 43 Prozent. Schwarz-Gelb fänden dagegen noch 31 Prozent gut, Schwarz-Grün nur 26 Prozent, eine Ampel 15 Prozent und Rot-Rot-Grün gerade 14 Prozent. Dabei denken die Bürger in NRW in klassischen Kategorien: 81 Prozent der SPD- und 81 Prozent der Grünen-Anhänger befürworten Rot-Grün, 70 Prozent der CDU- und 89 Prozent der FDP-Anhänger beurteilen Schwarz-Gelb positiv.

Die Zahlen basieren auf einer telefonischen Befragung der Forschungsgruppe Wahlen unter 1510 zufällig ausgewählten Wahlberechtigten in NRW in der Woche vor der Wahl sowie auf einer Befragung von 9206 Wählern am Wahltag. (dpa)