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Wie gut ist der US-Präsident? Volksstimme-Interview mit dem Politologen Werner Weidenfeld: "Man darf nach 15 Monaten keine Wunder von Obama erwarten"

13.03.2010, 05:16

Z: Magdeburg ZS: MD PZ: Magdeburg PZS: MD Prio: höchste Priorität IssueDate: 12.03.2010 23:00:00
Seit rund 15 Monaten ist Barack Obama US-Präsident. Wie gut ist seine Arbeit bisher? Und wie geht es weiter in der Weltfinanz- und Wirtschaftskrise? Volksstimme-Redakteur Georg Kern sprach mit dem Politologen Werner Weidenfeld. Er ist Professor an der Universität München und unter anderem Experte für transatlantische Beziehungen sowie für die Europäische Union. Volksstimme: Muss man sich Barack Obama dieser Tage als frustrierten Präsidenten vorstellen? Werner Weidenfeld: Obama ist ein kühler Charakter. Er wirkt nicht wie jemand, der sich in Sachfragen vornehmlich von Emotionen leiten lässt. Volksstimme: Nicht nur im Kongress, auch in der Bevölkerung wächst die Skepsis gegenüber dem Präsidenten, wie Umfragen zeigen. Wo ist die Obamania geblieben? Weidenfeld: Obama hat im Wahlkampf viel versprochen, trifft jetzt allerdings auf die Realitäten der Politik, das heißt beispielsweise auf den Widerstand im Kongress oder der Lobbygruppen. Gut möglich, dass er deshalb bei den Kongresswahlen im November abgestraft wird. Volksstimme: Zeichnet sich jetzt schon das Scheitern seiner Präsidentschaft ab? Weidenfeld: Auf keinen Fall. Es ist viel zu früh, davon zu sprechen. Richtig ist, dass Obama auch schon bedeutende Erfolge erzielt hat. Volksstimme: Welche denn? Weidenfeld: Er konnte die Finanz- und Wirtschaftslage stabilisieren. Die Arbeitslosigkeit bleibt zwar vergleichsweise hoch, was sich für die Demokraten negativ bei den Kongresswahlen auswirken könnte. Man darf nach 15 Monaten Präsidentschaft aber auch keine Wunder erwarten – schon gar nicht angesichts der Tiefe der Krise. Volksstimme: Bei der Gesundheitsreform konnte Obama nicht einmal alle Demokraten für sein Vorhaben gewinnen. "In den USA fallen Politiker härter als in Deutschland" Weidenfeld: Das liegt auch am politischen System. Eine Mehrheit der Amerikaner lehnt die Reform unter anderem wegen drohender Steuererhöhungen ab. Die Sorge ist daher groß bei den Abgeordneten – in den USA fallen abgewählte Politiker oft viel härter als in Deutschland. Denn es gibt keine Parteilisten, über die man dennoch ins Parlament einziehen könnte. Volksstimme: Obamas Probleme bei der Gesundheitsreform sind also eine Folge des politischen Systems? Weidenfeld: Auch, aber natürlich nicht nur. Hinzu kommt das in den USA weit verbreitete Misstrauen gegen staatliche Strukturen oder die Sorge vor den Kosten der Reform angesichts der rekordhohen Staatsverschuldung. Diese Konstellation weckt Zweifel an der Reform bis weit in die politische Mitte hinein. Volksstimme: Sollte Obama nicht besser ganz auf die Reform verzichten? Weidenfeld: Nein, das würde ihm mit Sicherheit als Führungsschwäche ausgelegt. Volksstimme: Diese Kritik gibt es ohnehin, auch in der Außenpolitik. Weidenfeld: Dabei hat Obama gerade in der Außenpolitik einiges bewegt. Wichtig war beispielsweise seine internationale Charmeoffensive zu Beginn seiner Amtszeit. Volksstimme: Warum war sie wichtig? Weidenfeld: Das Ansehen der USA hatte unter der Vorgängerregierung gewaltig gelitten. Politischer Einfluss bemisst sich aber auch am guten Ruf. Volksstimme: Aber welche handfesten Ergebnisse hat die Charmeoffensive gebracht? Weidenfeld: Ich warne auch hier vor überzogenen Erwartungen. 15 Monate sind nun mal keine Zeit, in der sich Probleme wie der Nahostkonflikt lösen lassen. Volksstimme: In jüngster Zeit hat es Spannungen mit China gegeben wegen des Dalai Lamas oder Waffenlieferungen an Taiwan. Rückt Obama von seiner Charmeoffensive ab? Weidenfeld: Ich sehe darin keinen grundlegenden Kurswechsel. Die USA haben zwar große wirtschaftliche Interessen in China. Aber sie haben auch eine Tradition, international für Menschenrechte einzutreten, an die Obama zweifellos anknüpft. Die Sicherheitsgarantien für Taiwan sind alt – wie würde es weltweit aufgenommen, wenn Washington solche Garantien plötzlich kündigen würde? Volksstimme: Im Verhältnis zu Europa hat für Irritationen gesorgt, dass Obama seine Teilnahme am EU-USA-Gipfel im Mai in Madrid abgesagt hat. "Wir werden noch einiges an Regulierung sehen" Weidenfeld: Auch darin sehe ich keinen Kurswechsel Washingtons. Obama steht innenpolitisch unter hohem Druck, er muss klare Prioritäten setzen. Europa hat er schon mehrfach besucht. Mein Vorwurf geht eher an die EU. In den Außenbeziehungen tritt sie derzeit reichlich unkoordiniert auf. Die neue außenpolitische Mechanik, die mit dem Lissabon-Vertrag geschaffen wurde, funktioniert noch nicht richtig. Volksstimme: Wie beurteilen sie die Zusammenarbeit Europas und der USA in der Finanzkrise? Weidenfeld: Die Krise lehrt uns vor allem, dass in der globalisierten Wirtschaft alle in einem Boot sitzen. Die großen Mächte wie die USA, China oder Europa müssen zusammenarbeiten und die Probleme gemeinsam angehen. Daher bin ich auch zuversichtlich, im Gegensatz zu vielen anderen, dass wir noch einiges an internationalen Regulierungsmaßnahmen sehen werden.