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Vor 60 Jahren revoltierten Gefangene gegen schlechte Haftbedingungen Der vergessene Aufstand – Bautzen erinnert an Häftlingsrevolte von 1950

Von Marius Zippe 30.03.2010, 05:19

Z: Magdeburg ZS: MD PZ: Magdeburg PZS: MD Prio: höchste Priorität IssueDate: 29.03.2010 22:00:00
Wir haben Hunger!", "Wir wollen nicht verrecken!", "Wir rufen das Rote Kreuz!": Am 31. März 1950 überschlagen sich die Emotionen in der Haftanstalt Bautzen innerhalb kürzester Zeit zum zweiten Mal. In dem mit 6000 Gefangenen völlig überbelegten Gefängnis, das im Volksmund auch "Gelbes Elend" genannt wird, machen viele Insassen in Sprechchören auf ihre katastrophale Lage aufmerksam.

Sie hängen Bettlaken aus den Fenstern und stehen auf den Dächern von Baracken. Ihre Hilferufe sollen bis weit in die Stadt gedrungen sein. "Es war der größte und öffentlichkeitswirksamste Häftlingsaufstand in der DDR", sagt Cornelia Liebold. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Gedenkstätte Bautzen, wo am morgigen Mittwoch zum 60. Jahrestag der Revolte eine Gedenkveranstaltung geplant ist.

Der Revolte, die auch der 2007 gestorbene Schriftsteller Walter Kempowski als Häftling miterlebte, ging im Februar 1950 die Übergabe der Gefangenen von der sowjetischen Besatzungsmacht an die DDR-Behörden voraus. Die letzten sowjetischen Speziallager im Osten Deutschlands wurden geschlossen. Neben NS-Tätern saßen dort politische Häftlinge ein, die gegen die Besatzungsmacht aufbegehrt hatten oder willkürlich gefangengenommen wurden.

Die Verbüßung der oftmals 25-jährigen Strafen war lebensgefährlich. Aufgrund der schlechten Haftbedingungen starben im Speziallager von 1945 bis 1950 rund 3000 Häftlinge an Krankheiten wie Tuberkulose oder an Unterernährung. Mit der Übergabe des Gefängnisses an die DDR-Volkspolizei verbanden sich für Insassen zunächst große Hoffnungen. "Wir gingen davon aus, dass die deutschen Behörden die irrsinnigen Strafen überprüfen und uns bald entlassen würden", sagt der einstige Häftling Harald Knaußt.

Der heute 81-Jährige wurde wegen angeblicher Gründung einer Terrororganisation verurteilt. Knaußt erinnert sich, dass auch die DDR-Behörden alle Fragen zur Zukunft der Häftlinge unbeantwortet ließen. Zudem stand die Volkspolizei vor einem massiven Versorgungsproblem. "Die Suppen wurden dünner, die Brotration kleiner", sagt er. Eine Resolution blieb ohne Antwort.

In dieser gereizten Stimmung beschließen die Gefangenen für den 13. März 1950 einen ersten Hungerstreik. An den Fenstern versammeln sie sich zu Sprechchören. Die Volkspolizei greift nicht ein. Für Beruhigung sorgt eine sowjetische Delegation, die Verbesserungen ankündigt. Allerdings ändert sich nichts, und zweieinhalb Wochen später revoltiert ein großer Teil der Gefangenen erneut.

Doch beim zweiten Mal findet der Drang nach Selbstbehauptung ein jähes Ende. Bewaffnete Volkspolizisten marschieren in den Höfen auf. Später stürmen sie die Häftlingssäle mit jeweils bis zu 400 Gefangenen und knüppeln los. Als der Aufstand längst abgeklungen ist, werden Häftlinge noch durch Spaliere prügelnder Polizisten getrieben.

Für die Gefangenen, von denen viele erst Jahre später entlassen werden, bringen die Folgemonate immerhin Erleichterungen. Sie dürfen in bestimmten Zeitabständen Besuch und Pakete erhalten. Auch im Westen wird die Revolte bekannt. Ihre Niederschlagung trägt mit zu dem berüchtigten Ruf bei, den das "Gelbe Elend" in der DDR hatte.(epd)