1200 Bewerber auf 1900 freie Lehrstellen Azubis meiden Technik-Jobs

Noch vor wenigen Jahren gab es viele Bewerber, aber kaum Lehrstellen. Mittlerweile steht der Ausbildungsmarkt in Sachsen-Anhalt Kopf: Azubis haben die freie Wahl. Verschmäht werden vor allem Technik-Jobs - obwohl diese gute Berufsperspektiven bieten.

19.07.2014, 01:18

Magdeburg l Lisanne Henning kann sich nicht vorstellen, täglich im Büro an einem Schreibtisch zu sitzen. "Ich wollte schon immer lieber etwas machen, wo ich zupacken kann", erzählt die 19-Jährige. Sie hat sich deshalb für eine Ausbildung zur Zerspanungsmechanikerin entschieden - und bereut das keineswegs. An diesem Vormittag programmiert Henning zusammen mit ihren Kollegen eine Drehmaschine - es ist Arbeit mit Hochtechnologie.

Mit Blick auf den Stellenmarkt in Sachsen-Anhalt stellt Lisanne Henning eine Ausnahme dar, denn nur wenige junge Menschen interessieren sich heute noch für Technik-Jobs. Und unter ihnen sind Frauen besonders rar. Nach Zahlen der Arbeitsagentur in Halle kommen auf 1900 freie Stellen in Produktions- und Fertigungsberufen nur 1200 Bewerber. Landesweit über alle Berufsbilder hinweg gibt es für mehr als 5300 unbesetzte Lehrstellen nur 4800 Bewerber.

Die Azubi-Flaute spürt auch das Technologie- und Berufsbildungszentrum (TBZ) in Magdeburg, wo Lisanne Henning derzeit ihre Ausbildung im dritten Lehrjahr macht. "Wir haben noch 60 offene Plätze", berichtet Fachbereichsleiter Olaf Hildebrecht. Pro Jahr bildet das TBZ gewöhnlich um die 160 Jugendliche aus.

Vorurteile von Eltern und Lehrern

Das geringe Interesse an Technik-Jobs erklärt sich Hildebrecht mit Vorurteilen, die Eltern und Lehrer hegen würden. "Viele glauben, Mechaniker arbeiten in dunklen Fabriken und tragen ölige Kleidung." Dabei hätten sich die Umstände gewandelt. "Mechaniker müssen sich heute mit Computer-Technik beschäftigen, arbeiten in hellen, hochgerüsteten Werkstätten."

Das mangelnde Interesse an Technik-Jobs führt Burghard Grupe, Geschäftsführer der Handwerkskammer Magdeburg, auch auf unzureichende Berufsorientierung zurück. Er sieht dabei die Betriebe in der Pflicht: "Die Firmen müssen viel stärker auf Schulen zugehen, jungen Menschen Praktika anbieten." Nur so könnten Schüler erfahren, dass etwa ein Bäcker nicht nur damit beschäftigt ist, Mehlsäcke zu schleppen. Auch müssten Firmen über Karrierechancen aufklären: "Wer motiviert ist, kann im Metallbau als Lehrling anfangen, sich zum Meister hocharbeiten und später Unternehmer werden", sagt Grupe. "Wer sich stattdessen etwa für einen Beamten-Job entscheidet, wird viel länger brauchen, bis er die Karriere-Leiter hinaufklettert und mehr Geld verdient."

Aus den Statistiken der Arbeitsagentur geht hervor, dass sich vor allem Frauen oft für Berufe mit begrenzten Karrierechancen interessieren. Viele von ihnen bewerben sich etwa für eine Ausbildung zur Friseurin oder Verkäuferin. Bei Männern ist das Interesse für Technikberufe traditionell etwas größer. "Wir wollen dem Nachwuchs keine Berufe diktieren. Der Blick auf berufliche Entwicklungs- und Verdienstmöglichkeiten sollte aber bereits bei der Berufswahl berücksichtigt werden", sagt Arbeitsagentur-Chef Kay Senius.

Wer noch eine Ausbildung sucht, kann sich im Internet informieren. Unter www.hwk-magdeburg.de bietet die Handwerkskammer eine Lehrstellenbörse. 360 freie Stellen sind dort derzeit zu finden.