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Bundesverfassungsgericht kritisiert Arbeitsmarktreform / Leistungen müssen neu berechnet werden Trotz Sieges in Karlsruhe sind höhere Hartz-IV-Sätze ungewiss

10.02.2010, 04:51

Nach dem Urteil des Verfassungsgerichts hat die Bundesregierung eine rasche Neuberechnung der Hartz-IV-Regelsätze in Aussicht gestellt. Offen bleibt aber, ob Langzeitarbeitslose zwangsläufig mehr Geld bekommen. Sozialverbände und Gewerkschaften gehen indes davon aus, dass die Regelsätze für die gut 6, 5 Millionen Hartz-IVEmpfänger steigen. Sie fordern die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns und einen Systemwechsel in der Sozialpolitik.

Karlsruhe / Magdeburg ( dpa / ddp / epd ). Hans-Jürgen Papier, Präsident des Bundesverfassungsgerichts ( BVG ), sagte in der Urteilsbegründung, mit dem bisherigen Berechnungsverfahren könne nicht sichergestellt werden, dass mit den Sozialleistungen das Recht auf ein " menschenwürdiges Existenzminimum " gesichert wird. Das Existenzminimum müsse auch eine Mindestteilnahme von Leistungsempfängern am gesellschaftlichen Leben berücksichtigen.

Ein konkretes Verfahren zur Neuberechnung der Regelsätze schlug das oberste Gericht nicht vor. Die Leistungen müssten auf Grundlage " verlässlicher Zahlen " und " tragfähiger Berechnungen " erbracht werden. Schätzungen " ins Blaue hinein " seien verfassungswidrig, sagte Papier.

Der Regelsatz für einen alleinstehenden erwachsenen Hartz-IV-Empfänger liegt derzeit bei 359 Euro im Monat. Der Bedarf für Kinder und Jugendliche wurde bislang nicht eigenständig errechnet. Sie erhalten je nach Alter zwischen 60 und 80 Prozent der Hartz-IV-Leistungen für Erwachsene. Kindern unter sechs Jahren stehen 215 Euro zu, im Alter bis zu 13 Jahren gibt es 251 Euro. Jugendliche erhalten bis zur Volljährigkeit 287 Euro.

Der Gesetzgeber müsse bis zum 31. Dezember 2010 eine Neuregelung treffen, forderte das Gericht. Bis dahin blieben die verfassungswidrigen Vorschriften weiter anwendbar. Das Bundesverfassungsgericht sah sich nicht dazu befugt, selbst bestimmte Sätze festzusetzen und begründete dies mit dem " Gestaltungsspielraum " des Gesetzgebers. Dieser müsse die Leistungen aber " realitätsgerecht " ermitteln. Rückwirkend müssten die Sätze nicht neu festgesetzt werden.

Der Erste Senat hatte über Vorlagen des Bundessozialgerichts und des hessischen Landessozialgerichts zu entscheiden. In den Ausgangsverfahren hatten Familien mit " Hartz IV " aus Dortmund, dem bayerischen Landkreis Lindau am Bodensee und dem Werra-Meißner-Kreis in Hessen geklagt.

Nach Einschätzung von Sachsen-Anhalts Arbeitsminister Reiner Haseloff ( CDU ) wird das Urteil erhebliche Konsequenzen für die Betreuung von Langzeitarbeitslosen haben. " Wir müssen das Gesamtsystem völlig neu justieren ", sagte er. Finanzminister Jens Bullerjahn ( SPD ) forderte eine grundsätzliche Neuordnung der Kinder- und Familienförderung. " Ich sehe eine massive Gerechtigkeitslücke, die wir schließen müssen. "

Die Linke-Landtagsfraktion forderte ein " transparentes Verfahren für eine verfassungskonforme und vor allem bedarfsdeckende Neuberechnung " und eine Erhöhung der Regelsätze. Letzteres forderte auch der Kinderschutzbund mit Blick auf die hohe Kinderarmut. " In Halle leben mehr als 40 Prozent der Kinder in Armut, in Magdeburg sind es knapp unter 40 Prozent. Das hat dramatische Folgen ", sagte die Geschäftsführerin des Landesverbandes des Kinderschutzbundes, Andrea Wegner. Meinung I

Im Januar 2010 gab es in Sachsen-Anhalt 181 104 Bedarfsgemeinschaften von Menschen, die Leistungen zur Grundsicherung erhalten haben. Zu den Bedarfsgemeinschaften zählten 51 151 Familien mit Kindern unter 18 Jahren. Insgesamt lebten in den Bedarfsgemeinschaften 318 296 Menschen, die Leistungen zur Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch II ( SGB II / " Hartz-IV ") erhalten haben.

174 073 Menschen waren arbeitslos gemeldet, darunter 118 877 oder 68, 3 Prozent Arbeitslose, die von den 21 Trägern der Grundsicherung betreut worden sind (" Hartz-IV-Empfänger "). Das übernahmen 14 Arbeitsgemeinschaften ( Arge ). Zudem gibt es im Land zwei getrennte Trägerschaften von Agentur für Arbeit und Landkreis sowie fünf kommunale Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende. ( dpa )