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Vorwürfe wegen unnötiger Operationen gab es am Altmark-Klinikum Gardelegen schon vor Dr. T. Profitidee mit Wirbelsäulen-OPs seit 2006

Mit dem Arzt N. rückt ein zweiter Mediziner ins Zentrum des sogenannten
OP-Skandals am Gardeleger Altmark-Klinikum. Zugleich könnte sich das
Verfahren ausweiten. Denn bereits vor 2011 operierte N. häufig gegen das
Urteil der Radiologen. Ein Chefarzt beklagte unnötige Operationen.

Von Philip Najdzion 21.12.2013, 01:11

Gardelegen l Wer ist dieser N., gegen den die Staatsanwaltschaft neben Dr. T. - dem einstigen Leiter des Wirbelsäulenzentrums - wegen fahrlässiger Körperverletzung ermittelt (Volksstimme berichtete)? Der Mediziner kam im Juni 2006 an das Altmark-Klinikum. Das Haus war damals auf der Suche nach neuen lukrativen Geschäftsfeldern. Das Geschäft mit Prothesen lief nicht mehr gut. Zu viele Krankenhäuser hatten den gleichen Plan und wollten mitverdienen. Die Alternative hieß: Wirbelsäulen-Operationen. "Damit war schon damals gutes Geld zu verdienen", sagt ein Insider.

Doch dem Altmark-Klinikum fehlte hierfür das qualifizierte Personal. Das Klinikum stellte den heute 49-jährigen N. ein. Weil er keinen Facharzttitel besaß, erhielt er einen Anstellungsvertrag als "Assistenzarzt in Weiterbildung" in der Chirurgie. Das heißt: Er ließ sich zum Facharzt ausbilden. Wie ein fertiger Neurochirurg operierte N. in Gardelegen jedoch Patienten an Wirbelsäulen und stellte eigenständig Befunde.

Deswegen kam es nach Volksstimme-Recherchen 2009 klinikintern zum Streit. Der Mediziner missachtete die Befunde der Radiologen, die sonst bis auf Ausnahmefälle zumeist als ausschlaggebend für die Frage "Operieren oder nicht?" gelten.

Radiologe: Operatives Vorgehen in vielen Fällen nicht zu verantworten

Eine Statistik verdeutlicht die Ausmaße: 42,7 Prozent Abweichung. So waren Radiologen und N. bei fast jedem zweiten Patienten-Fall unterschiedlicher Meinung.

Dieser Zustand änderte sich offenbar nicht. 2011 verfasste Dr. Michael Bäse, Chefarzt der Radiologie, eine persönliche Stellungnahme. N. vertrete eine "zu großzügige, zum Teil auch abwegige Indikationsstellung für ein operatives Vorgehen, die aus meiner Sicht in vielen Fällen nicht zu verantworten sind".

Erst ab Juli 2011 steht für die Wirbelsäulen-Patienten in Gardelegen ein ausgebildeter Neurochirurg am Operationstisch. Dr. T. kann diesen Facharzttitel vorweisen. Offensiv warb das Krankenhaus mit seinem neuen Wirbelsäulenzentrum. "Der Einzelkämpfer (Anmerkung der Redaktion: N.) brachte wohl nicht genug", mutmaßt ein Insider.

Mit dem neuen Zentrum gingen die OP-Zahlen in Gardelegen deutlich nach oben. Waren es 2010 noch 2961 Operation, stieg die Anzahl bis 2012 auf 3527 - fast 20 Prozent mehr. Fast jede siebte Operation (499) im Klinikum ist im Jahr 2012 eine an der Wirbelsäule.

An der Chirurgie schwelte zudem bereits seit längerem ein Streit. Klinikintern waren die neuen Ärzte umstritten. Es gab Probleme bei der Nachversorgung der Patienten und den OP-Plänen. Matthias Hahn, damaliger Geschäftsführer des Klinikum, räumte den beiden Medizinern wohl zahlreiche Freiheiten ein.

Im November 2012 wird öffentlich, dass Ärzte sich über die Methoden in der Neurochirurgie bei den Klinikverantwortlichen beschwert hatten.

Derzeit beschränken sich die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wegen unnötiger Operationen auf die Zeit ab Juli 2011. "Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass sich im Rahmen der weiteren Ermittlungen auch Anhaltspunkte für Straftaten aus der Zeit davor ergeben", sagt Pressesprecherin Brigitte Strullmeier. Der Mediziner N. war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

Wie konnte ein Arzt in der Weiterbildung vor Juli 2011 überhaupt Patienten an der Wirbelsäule operieren? Eine Neurochirurgische Abteilung gab es in Gardelegen nicht - ebensowenig einen Neurochirurgen. Mit am OP-Tisch stand der damalige Chefarzt Dr. Bernd Falkenberg. Der Volksstimme liegen Informationen vor, wonach er in einer Chefarzt-Runde gesagt haben soll, dass er von solchen Operationen aber gar keine Ahnung habe.

Falkenberg selbst hat den sogenannten OP-Skandal selber erst in die Öffentlichkeit gebracht. Er gehörte mit zu den Unterzeichern eines Briefes, der unnötige Operationen anprangerte.

Darin fordern sechs Ärzte: "Wir befürchten, dass die Existenz und das Ansehen des Altmark-Klinikums gravierend gefährdet sind, wenn diese Vorfälle, die strafrechtlich relevant schwere und gefährliche Körperverletzungen darstellen sowie der Verdacht des Abrechnungsbetruges nicht restlos aufgeklärt werden."

Dass N. vor der Beschäftigung von Dr. T. ab Sommer 2011 nicht einmal ein Facharzt für Wirbelsäulen-Operationen zur Seite stand, der ihn im OP-Saal unterstützten konnte, sei ein Problem, sagen Kritiker. Sie verweisen darauf, dass der Facharztstandart in dieser Zeit nicht gewahrt gewesen sei.

Kein Problem, sagt dagegen der Sprecher der Landesärztekammer, Tobias Brehme. "Es muss sichergestellt sein, dass ein Arzt wie ein Facharzt handeln würde", sagt Brehme. Sollte allerdings etwas passieren, müsse der Chefarzt oder die Klinik-Leitung dies verantworten. Die Klinik entscheide, ob ein Mediziner operieren kann. Erfahrung mit bestimmten Operationen spiele dabei sicherlich eine Rolle. So gehörten Wirbelsäulen-Operationen auch zum Repertoire von Orthopäden.

In seiner Internet-Biografie verweist der Arzt N. auf seine Erfahrungen unter anderem als Stationsarzt für Chirurgie im Ausland. Aber reicht das, um Patienten an der Wirbelsäule zu operieren? Da gehen die Meinungen auseinander.

Vor dem Landgericht Stendal läuft derzeit ein zivilrechtliches Verfahren gegen N., Dr. T. und den ehemaligen Chefarzt der Chirurgie, Dr. Bernd Falkenberg. Der beauftragte Gutachter, Dr. Werner Ernst Braunsdorf, empfiehlt darin dem Gericht bei der Landesärztekammer nach der Facharztreife von N. zu fragen.

Er bezeichnete es als befremdlich, dass die Operation von einem Assistenzarzt vorgenommen wurde, welcher noch nicht Facharztreife hatte und während der OP der Facharztstandard nicht gewahrt war, weil der Assistent, Chefarzt Dr. Bernd Falkenberg, für die Operation nicht die notwendige Qualifikation mitbrachte.

Zu der Zeit vor dem Wirbelsäulenzentrum, wollte sich die neue Klinik-Leitung nicht konkret äußern.

Mit dem Wirbelsäulenzentrum wollten die Klinikverantwortlichen den lukrativen Wirbelsäulen-OPs eine offiziellere Struktur geben. Doch das Wirbelsäulenzentrum war wohl keine eigenständige Einheit. Matthias Hahn bezeichnete das Zentrum nach Volksstimme-Informationen als Marketingidee. Dies sagte auch Hahns Nachfolger, Matthias Lauterbach. "Herr Dr. F. war als Chefarzt der gesamten Chirurgie Herrn Dr. T. als neurochirurgischen Facharzt überstellt", sagt er.

In seinem Arbeitsgerichtsverfahren präsentierte Falkenbergs Anwalt jedoch eine mutmaßliche Dienstanweisung, mit der sein Mandant entlastet werden sollte: Darin werden Dr. T. weitreichende Rechte unter anderem Weisungsbefugnis gegenüber Mitarbeitern in der Chirurgie eingeräumt. Dieses Dokument ist nach Ansicht des Klinikums eine Fälschung. "Eine solche Dienstanweisung gab es seitens der Altmark-Klinikum gGmbH nicht", erklärt Geschäftsführer Matthias Lauterbach.

Ex-Geschäftsführer Hahn wollte sich gegenüber der Volksstimme nicht zu den Vorgängen am Altmark-Klinikum äußern.

Falkenberg sagt, er dürfe sich nicht zu seiner Zeit in Gardelegen äußern, "Es steht in meinem Aufhebungsvertrag, dass ich die Schnauze halten muss." Ansonsten drohe ihm eine Geldstrafe.

Der Mediziner hat nach Volksstimme-Recherchen Anfang 2012 die Verantwortung für das Wirbelsäulenzentrum abgelehnt. Und auch Falkenbergs kommissarischer Nachfolger, Dr. Wilfried Wesemann, hielt es nach Falkenbergs Rauswurf im August 2012 für nötig, klarzustellen: Für die Vorgänge am Wirbelsäulenzentrum werde er keine Verantwortung übernehmen.