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Dokumentation "Persönliche Friedensarbeit"

Die Letzlingerin Birgit Hinz arbeitet an einer Dokumentation über Letzlinger, die im II. Weltkrieg als Soldaten ihr Leben verloren.

Von Andreas Puls 21.08.2015, 19:12

Letzlingen l Wieviele Stunden Birgit Hinz bereits in ihr Werk investiert hat, weiß sie nicht. Summiert müssen es viele Monate sein, denn allein an die Daten, Fotos, Briefe und andere Dokumente zu gelangen, die sie bis jetzt zusammengetragen hat, war äußerst schwierig. In vielen Fällen gingen stundenlange persönliche Gespräche mit Angehörigen der Gefallenen voraus. Aber das Ergebnis dieser Arbeit kann sich sehen lassen. Ihre bisherige Daten- und Dokumentensammlung umfasst 119 im Zweiten Weltkrieg gefallene Letzlinger. Dass sich Birgit Hinz so intensiv ausgerechnet mit diesem Teil der Letzlinger Geschichte befasst, kommt nicht von ungefähr. "Mein eigener Großvater, Ernst Hasewinkel, ist im Krieg geblieben. Das hat in unserer Familie und in mir selbst Spuren hinterlassen. Ich habe als Kind im Bett meines Opas geschlafen und meine Oma, zu der ich immer eine sehr enge Bindung hatte, erzählte mir oft von meinem Opa. Und sein Bild hing immer bei uns im Wohnzimmer. Das war es wohl, was mich so intensiv geprägt hat", erinnert sich Birgit Hinz.

Schon als Kind und Jugendliche begann Hinz, sich verstärkt mit dem Thema Krieg auseinanderzusetzen. In der DDR, weiß die Letzlingerin, seien in den Schulen die Kinder und Jugendlichen sehr einseitig über den Weltkrieg informiert worden. Einerseits habe sie das zur Kenntnis genommen, was die Lehrer im Unterricht sagten. Andererseits habe sie sehr vieles von dem aufgenommen, was zu Hause über den Krieg erzählt wurde. "So merkte ich bald, dass es da Widersprüche gab und setzte mich in meiner eigenen Gedankenwelt mit diesem Krieg und mit dem Krieg allgemein auseinander. Ich las Bücher und sah Filme. All das saugte ich auf. Vor allem beschäftigte mich die Frage nach den Ursachen von Kriegen und des damit verbundenen sinnlosen Sterbens", so die Letzlingerin weiter. Sie selbst habe festgestellt, dass Verluste von Angehörigen durch Krieg noch Generationen danach Familien prägen können - vor allem wenn es nicht aufgearbeitet werde.

"Mich hat der Tod meines Großvaters mein ganzes Leben lang geprägt. Ich wollte das an meine eigenen Kinder nicht weitergeben. Das war für mich der Anlass, das so umfassend wie möglich aufzuarbeiten - und dieses Kapitel damit abzuschließen", sagt die 58-Jährige. 1994 nahm Birgit Hinz als Mitglied des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge an einer Reise anlässlich des 50. Jahrestages des D-Day in Frankreich teil. Sie sah den riesigen Soldatenfriedhof in der Normandie und blickte die Steilküste hinab. Der Satz "Das Meer war voller Blut" ging ihr dabei durch den Kopf. Das war auch die Zeit, in der sie begann, sich mit weiteren Kriegsschicksalen aus ihrem Geburts- und Heimatort zu befassen.

Nicht selten schwingt Angst mit

Bald nahm Hinz erste Kontakte mit Letzlingern auf, von denen sie wusste, dass ebenfalls Angehörige im Zweiten Weltkrieg gefallen waren. "Aber es war in vielen Fällen sehr schwierig, die Leute dazu zu bewegen, mir etwas zu erzählen oder gar Bilder und Dokumente herauszugeben. Oft schwang die Angst mit, dass ihre gefallenen Angehörigen als Schuldige gebrandmarkt werden könnten", ist sich Hinz sicher. Im Laufe der Zeit haben aber viele Letzlinger in persönlichen Gesprächen und Telefonaten doch Vertrauen zu ihr gefasst und ihr vieles anvertraut.

Mittlerweile hat Hinz - mehr oder weniger umfangreich - Schicksale von insgesamt 119 gefallenen Letzlingern gesammelt. Es handelt sich um Männer, in vielen Fällen noch eher um Jungen, die entweder in Letzlingen aufgewachsen sind oder die nach Letzlingen kamen, um dort ihre Berufsausbildung zu machen und ihre Familien zu gründen. "Ziel meiner Arbeit ist es nicht nur, die Schicksale der Gefallenen zu dokumentieren, sondern auch das, was ihr Tod in ihren Familien und Elternhäusern für Löcher riss. Die jungen Männer haben im Krieg und danach gefehlt - nicht nur ihren Frauen, Kindern, Geschwistern und Eltern. Sie haben in den Schmieden, Tischlereien, Landwirtschaftsbetrieben und Friseurläden gefehlt", betont Birgit Hinz. Sie hat durch ihre Arbeit Einblicke in viele bewegende und furchtbare Soldaten- und Familienschicksale erhalten. Hinz sagt: "Nicht selten habe ich Tränen in den Augen, wenn ich mir die Fotos anschaue und an die damit verknüpften Lebensgeschichten denke."

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Sein Grab wurde nie gefunden

Angeführt seien hier nur zwei Beispiele - stellvertretend für alle Schicksale, die Bestandteil der Dokumentation sind und eventuell noch werden: Rudolph Prehm wurde 1924 in Letzlingen geboren, wuchs dort auch auf und besuchte später die höhere Schule in Gardelegen. Rudolph trieb leidenschaftlich gern Sport. Unter anderem beteiligte er sich an Boxwettkämpfen in Letzlingen. Er wollte studieren. Und um auf diesem Weg schneller voranzukommen, meldete er sich für den Kriegsdienst, ging freiwillig zu den Fliegern. 1944 wurde er eingezogen - als 17-Jähriger. Zum Kriegsende geriet der junge Soldat im Kaukasus in Gefangenschaft, wo er 1946 starb. "Ich habe seinen kyrillisch geschriebenen Totenschein gesehen. Demnach starb Rudolph Prehm an Unterernährung, dem Verlust des linken Fußgelenks und schließlich an Herzversagen", berichtet Birgit Hinz.

Bezeichnend auch das Schicksal von Erich Göllner und seiner Familie. Er wurde in Ummendorf geboren und kam als Tischlermeister nach Letzlingen. Dort lernte er seine spätere Frau Hertha (geb. Hamann) kennen, die er 1940 heiratete. Erich Göllner wurde in den Kriegsdienst eingezogen und kam 1942 nach Stalingrad. Er versuchte zu desertieren, wurde aber von deutschen Soldaten gefangen genommen und auf Befehl erschossen. Die Geburt seiner Tochter Edeltraut erlebte er nicht mehr und ein Grab des Letzlingers wurde nie gefunden.

Was aus ihrer Dokumentation einmal wird, wenn sie komplett ist, weiß Birgit Hinz noch nicht. Eventuell könnte ein Buch daraus entstehen. In jedem Fall will sie ihr Lebenswerk den Letzlingern in irgendeiner Form zur Verfügung stellen. Die Dokumentation soll eine Mahnung sein, was Krieg bedeutet, welche Folgen er hat. "Meine Oma sagte immer wieder: ,Alles, nur kein Krieg!`. Sie weiß am besten, warum. Insofern ist die Arbeit an dieser Dokumentation meine ganz persönliche Friedensarbeit," unterstreicht Birgit Hinz. Die Letzlingerin, die beruflich als Röntgenassistentin (MTRA) arbeitet, möchte zum Nachdenken anregen. "Oft werden die Kriegsschicksale in der eigenen Familie verschwiegen und verdrängt. Aber ich glaube, das kann nicht der richtige Weg sein, damit umzugehen. Birgit Hinz: "Ich finde es übrigens auch sehr traurig, dass nur so wenige Letzlinger an den Gedenkveranstaltungen zum Volkstrauertag teilnehmen."

Für die Vervollständigung ihrer Sammlung hofft die Letzlingerin noch auf weitere Dokumente und Informationen. Angesprochen sind alle Angehörigen von Letzlingern, die im Zweiten Weltkrieg als Soldaten ihr Leben ließen - auch Nachfahren, die aus Letzlingen aus beruflichen oder privaten Gründen weggezogen sind.

Wer entsprechendes Material beisteuern kann oder einfach nur das Gespräch mit Birgit Hinz suchen möchte, kann die Letzlingerin unter der Telefonnummer 039088/437 erreichen.

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