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Arbeitgeber stellen seit Jahren Mitarbeiter zu Feuerwehr-Einsätzen frei / Ihr Motiv: "Wenn das nicht mehr geht, können wir gleich aufhören"

Von Cordula Bischoff 16.04.2011, 04:28

360-mal rief die Sirene die Kameraden der Freiwilligen Feuerwehr Genthin im vergangenen Jahr zu Einsätzen. Rund 60 Prozent davon waren Tagesalarme, die Kameraden müssen dann ihren Arbeitsplatz sofort verlassen, um Verunglückte zu bergen, Feuer zu löschen oder umgekippte Bäume zu räumen. Aber können die Männer das? Wie reagieren die Arbeitgeber auf den Ausfall ihres Mitarbeiters?

Genthin. "Es ist nicht immer einfach", gibt Bernd Horstmann, Geschäftsführer der Firma BVS-Schweißtechnik unumwunden zu. "Ich habe sechs Mitarbeiter, davon zwei freiwillige Feuerwehrleute. Der eine arbeitet in Genthin, der andere in Güsen. Beide sind bei mir im technischen Service tätig. Sie haben mit Kunden zu tun, die zu einem vereinbarten Termin auf sie warten. Wenn dann ein Alarm kommt, bringt das natürlich einiges durcheinander, schließlich werden die beiden Kollegen aus dem Arbeitsprozess herausgerissen", weiß Horstmann aus langjähriger Erfahrung, denn seit 1991 hat er seine Firma.

"Es bleibt schon mal Arbeit liegen"

Wie reagiert er im Ernstfall? "Ich versuche dann, die Sache gerade zu biegen, das heißt, dass die anderen Kollegen die Arbeit mit übernehmen, also mehr arbeiten müssen." Läuft das immer reibungslos? "Nein, es bleibt schon auch Arbeit liegen, einige Aufgaben müssen verschoben, anders verteilt oder später nachgearbeitet werden", so Bernd Horstmann.

Arbeit, die während der Feuerwehreinsätze nicht erledigt wird, Kunden, die vielleicht ärgerlich sind, weil ein Termin nicht gehalten wird. Weshalb macht Bernd Horstmann das als Geschäftsführer überhaupt mit? "Weil die Arbeit der Kameraden einfach notwendig ist. Es muss doch geholfen werden, wo Hilfe notwendig ist. Nur so funktioniert das gesellschaftliche Zusammenleben, da muss einer für den anderen einstehen", sagt er sachlich - und es klingt sehr selbstverständlich.

"Wenn es brennt, erwartet doch jeder, dass die Feuerwehr so schnell wie möglich vor Ort ist und hilft. Also muss ich auch bereit sein, die Mitarbeiter meines Unternehmens, die freiwillig und ehrenamtlich in der Feuerwehr sind, von ihrer Arbeit freizustellen, wenn die Sirene heult." Der Mann, der das sagt, ist Christian Granitzki, Geschäftsführer der Genthiner Maschinen und Vorrichtungsbau GmbH (GMV). Seit 1992 steht er dem Unternehmen vor, 120 Mitarbeiter sind hier angestellt. Sie bearbeiten beispielsweise Bauteile für Windenergieanlagen, Anlagen zum Biomüllschreddern und bauen stationäre und bewegliche Generatoren.

"Um hochwertig arbeiten zu können, brauchen wir hochwertige Maschinen, die sehr kostspielig sind. Auch deshalb legen wir sehr großen Wert auf den Brandschutz", sagt er. "Wir hatten auch noch keinen Brand. Aber wenn es zum Ernstfall kommen würde, wären wir für den Einsatz der Feuerwehrkameraden dankbar, wie alle anderen auch." Deshalb stehe er auch zu dieser Verantwortung, die Kameraden bei Alarm und Einsatz von der Arbeit freizustellen. Dann fügt er hinzu: "Damit übernehmen wir für die Stadt Genthin und seine Einwohner auch ein Stück Verantwortung, das gehört zum normalen Leben einer Firma für mich einfach dazu."

Helmer Rawolle, der Vorsitzende der Agrargenossenschaft Tucheim, ist ein Mann der klaren Worte: "Das ist doch wohl das Selbstverständlichste von der Welt, dass der Kollege sofort frei gestellt wird - ohne Wenn und Aber. Selbst wenn ein Melker kurzfristig zum Einsatz müsste, findet sich da auch eine Lösung."

46 Mitarbeiter hat der landwirtschaftliche Betrieb, einer ist bei der Feuerwehr in Tucheim, die gehört zur Spitzengruppe, was die Anzahl der Einsätze betrifft. "Es spielt überhaupt keine Rolle, wie oft der Kollege von der Arbeit weg muss, er kann es. Wenn das eine Gesellschaft nicht tragen kann, dann können wir gleich aufhören", sagt er sehr bestimmt. "Wir als Genossenschaft helfen auch sonst der Feuerwehr. Wenn die Kameraden an ihren Fahrzeugen beispielsweise mal was zu reparieren haben, dann machen wir das. Als es kürzlich in unserem Ort brannte, bin ich gleich los und habe geguckt, ob vielleicht Technik gebraucht wird. Unser Güllewagen kann ja auch Löschwasser transportieren." Nach einer kurzen Pause fügt er hinzu: "Einer muss für den anderen da sein, nur so funktioniert das. Und die freiwilligen Feuerwehrleute arbeiten ehrenamtlich und kostenlos für uns als Gemeinschaft. Da können wir ihnen ruhig mal was zurück geben", so Helmer Rawolle.

"Sie arbeiten kostenlos für uns"

Sind diese drei Unternehmen eine Ausnahme oder ist es die Normalität? "Die Firmenchefs in der Region wissen die Arbeit der Kameraden sehr zu schätzen", so Achim Schmechtig, Stadtfeuerwehrleiter Genthin. "Und meist gibt es keine Probleme. Allerdings können nicht alle Kameraden nach dem Alarm ihren Arbeitsplatz verlassen. Beispielsweise kann ein kleiner Handwerksbetrieb das selbst bei bestem Willen nicht leisten, da geht es um den Lebensunterhalt. Auch in der Erntezeit kann ein Fahrer nicht einfach seinen Mähdrescher stehen lassen und losziehen. Das verstehe ich." Und Schmechtig sagt auch: "Um so mehr verdient es unsere Anerkennung, wenn Unternehmen die Kameraden freistellen. Und es verdient ein Dankeschön."