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Bergbau Völkerwanderung auf Abraumhalde

Viele Besucher nutzten die Gelegenheit, auf den Gipfel einer Abraumhalde zu klettern

Von Dennis Lotzmann 24.08.2015, 19:02

Sangerhausen l Sie gehören zum Mansfeldischen wie der Wald zum Harz: Die mächtigen Bergbau-Abraumhalden, die in Jahrzehnten aufgetürmt worden sind. Die beiden größten unweit von Sangerhausen und bei Volkstedt können regelmäßig erklommen werden. Berge wie den Brocken ersteigen, kann jeder. Anders sieht es mit Bergbauhalden aus. Die locken allein schon aus einem Grund: Sie sind in aller Regel für Wanderer tabu und können nur zu ganz bestimmten Termine erklommen werden. Am Wochenende war dies bei der 145 Meter hohen Halde "Hohe Linde" im Sangerhäuser Ortsteil Lengefeld möglich. Der Einladung, die seitens der Rosenstadt Sangerhausen GmbH im Schnitt zweimal pro Jahr gemacht wird, seien rund 1250 Gäste gefolgt, berichtet Geschäftsführer Uwe Schmidt.

Das von Schmidt geleitete Tourismus-Unternehmen betreut neben dem Europa-Rosarium und der Stadt-Info in Sangerhausen auch das Erlebnisbergwerg im benachbarten Wettelrode. Und zu jenem Bergwerk gehört letztlich auch der wenige Kilometer südlich davon entfernte 145 Meter hohe Abraumberg. "Die Halde markiert die Förderrückstände aus den insgesamt 34 Betriebsjahren der Grube", weiß der Touristiker zu berichten.

Die Zahlen, die Schmidt mit Blick auf den weißgrau-farbenen Abraumkegel zur Hand hat, klingen imposant: Die Halde, die am Boden auf einen geschätzten Durchmesser von gut 400 Metern kommt, bedecke rund 12,5 Hektar Fläche, sei exakt 145 Meter hoch und bestehe aus rund 15 Millionen Tonnen Gestein aus dem Kupferschieferbergbau. Aufgetürmt wurde sie in den Betriebsjahren des Bergwerks zwischen 1956 und 1990.

Superlative, die Jahr für Jahr bei den Terminen zur Haldenbesteigung viele Besucher locken. Auf Genehmigung der Lausitzer und Mitteldeutschen Bergbau Verwaltungs GmbH (LMBV) hätten sich die Monate Mai und August als übliche Termine für die Halden-Bergsteiger etabliert, sagt Schmidt. Und im Mansfeldischen locke nicht nur diese Halde, sondern auch die noch acht Meter höhere Fortschritt-Halde bei Volk-stedt. Gelegen an der Verbindungsstraße zwischen Halle, Salzmünde und Mansfeld, seien Höhenstürmer hier einmal im Jahr - meist im Juni oder Juli - willkommen.

Besagte Höhenstürmer haben die Halden längst für sich entdeckt, weiß Uwe Schmidt. "Wer in den Harzwäldern unterwegs ist, um für die Wandernadel Stempel zu sammeln, gehört mit schöner Regelmäßigkeit auch zu den Gipfelstürmern, die sich den Haldenstempel sichern wollen." Brocken-Benno - Benno Schmidt aus Wernigerode - gehörte in der Vergangenheit immer wieder zum Stammpublikum, verrät Schmidt. So werden Gipfelsturm und Gipfelstempel irgendwie zum Ritterschlag für eingeschworene Wanderer.

Unter denen, die am Wochenende den Aufstieg angingen, gehörte auch der Harzgeröder Hobby-Fotograf Torsten Brehme. Der Aufstieg selbst, berichtet er, sei im ersten Teil recht anspruchsvoll. Eine Herausforderung, die sich auch in Zahlen fassen lässt: Über den rund 340 Meter langen Haldenkamm - einst die Laufstrecke des Abraum-Förderbandes für die Haldenaufschüttung - geht es besagte 145 Meter nach oben. Soll hießen: Pi mal Daumen ist pro Meter auf dem Kamm fast ein halber Höhenmeter zu bezwingen.

Oben angekommen, werde man nicht nur mit einem tollen Blick in die Landschaft entschädigt, berichtet der 48-Jährige. Obendrein drücken dort Bergleute besagten Erinnerungs-Stempel ins Gipfelbuch.

Die Tour hoch hinauf koste pro Person zwei Euro, ergänzt Tourismus-Geschäftsführer Uwe Schmidt. Jener symbolische Eintritt fließe direkt in die Kassen der Mansfelder Bergwerksvereine. Aus gutem Grund, wie Schmidt betont. Bevor ab 10 Uhr die ersten Gipfelstürmer starten können, bereiten einstige Bergleute die Strecke vor. Dazu gehöre unter anderem das Spannen eines Drahtseils, um den genauen Weg einzugrenzen.

Apropos Gipfelstürmer: Zwischen die "normalen" Kletterer mischen sich fast immer auch Extrembergsteiger und -sportler, die die Halde während der Öffnungszeit mehrfach erklimmen. Axel Richter, 40 Jahre alter Extremsportler aus Sangerhausen, holte sich jetzt 30 Gipfelstempel und überbot damit den bisherigen Tagesrekord von 21 Besteigungen.

"Die Halde markiert die Förderrückstände aus den 34 Betriebsjahren der Grube."

Uwe Schmidt, Geschäftsführer der Rosenstadt Sangerhausen GmbH

Dass die Halden "Hohe Linde" und "Fortschritt" sowie die rund ein Dutzend weiteren Abraumkegel im Raum Mansfeld-Südharz eines Tages mal verschwinden könnten, glaubt Uwe Schmidt nicht. "Zwar befinden sich im Gestein der beiden größten Abraumhalden noch Spuren von Kupfer. Sie chemisch herauszulösen, lohnt aufgrund der billig förderbaren Kupfervorkommen in Südamerika aber kaum. Und selbst dann wären die Halden danach ja nicht weg, sondern nur an einer anderen Stelle." Soll heißen: Es bleibt aller Voraussicht nach bei den drei offiziellen Halden-Kletter-Tagen pro Jahr.

Mehr unter www.sangerhausen-tourist.de