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Programm "Engagierte Stadt" "Wir müssen alte Strukturen aufbrechen"

Stendal hat sich beim Programm "Engagierte Stadt" beworben. Die Vorauswahl ist geschafft. Marion Zosel-Mohr erklärt die Ziele.

Von Nora Knappe 14.07.2015, 16:22

Volksstimme: "Bürgerschaftliches Engagement" - dieser Begriff taucht oft auf und spielt auch in Ihrer Arbeit in der Freiwilligen-Agentur eine zentrale Rolle. Was genau ist damit gemeint?
Marion Zosel-Mohr: Damit ist gemeint, dass Bürger die Gesellschaft bewusst wahrnehmen und Probleme oder Zustände sehen, von denen sie der Meinung sind: Das muss sich ändern. Und selbst eben auch zu dieser Änderung beitragen wollen. Das Problem dabei ist, dass es den Verwaltungen nicht immer leicht fällt, Bürgerbeteiligungsprozesse als Chance für ihre Arbeit zu erkennen. Weil es eben auch unbequem ist, sich mit den manchmal unkonventionellen Vorstellungen der Bürger auseinanderzusetzen. Da müssen beide Seiten zusammenfinden.

Gibt es in Stendal, in der Altmark schon genügend bürgerschaftliches Engagement oder zumindest das Potenzial?
Das Potenzial ist da, wir haben sehr viele Ressourcen. Oftmals mangelt es nur an Überblick und Kooperation beziehungsweise Koordination, was dann schnell abschreckend wirken kann. Deshalb wollen wir unbedingt eine Übersicht erarbeiten, die die Vielzahl derer aufzeigt, die schon etwas machen oder machen wollen.

Warum brauchen Sie dafür das Siegel "Engagierte Stadt"?
Die Fördermittelgeber wollen das Siegel "Engagierte Stadt" als feste Marke etablieren.Dieses Programm will ein neues Bewusstsein dafür schaffen, dass und wie sich Bürger aktiv einbringen können. Und es will die Wertschätzung und Anerkennung dafür befördern.

Selbst viele Träger von Programmen oder Projekten sehen sich oftmals als Konkurrenz. Aber wenn wir etwas bewirken wollen, geht das zukünftig nur gemeinsam. Es müssen Programme zusammengepackt werden, ohne dass jemand etwas verliert. Dafür müssen wir festgefügte homogene Strukturen hinterfragen und vielleicht aufbrechen.

Es werden explizit keine Einzelprojekte gefördert, sondern ausschließlich Kooperationen von Organisationen, Initiativen und Kommunen.

Das zeigt: Man will weg von alter Projektförderung hin zu Strukturförderung. Synergien müssen mehr genutzt werden. Wenn sich ein Bürger einbringen möchte, braucht er jemanden, der für ihn mit Wirtschaft, Kommunalpolitik, Verwaltung und den anderen Netzwerkpartnern kommuniziert. Und diese Partner müssen offener füreinander werden.

Und die Freiwilligen-Agentur wäre der neutrale Ansprechpartner und Koordinator?
Ja, das alles ist kein Selbstläufer, man braucht eine Stelle, die nicht an einem Träger und damit an Partikularinteressen hängt, sondern die neutral berät. Es darf in diesen Dingen nicht das betriebswirtschaftliche Denken dominieren. Aber das alles erfordert eine Entwicklung von Bewusstsein über gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Zusammenhänge. Wir können dies nicht von oben lösen, wir müssen es regional angehen.

Wie sehen Sie denn Stendals Chancen, zu den letztlich 50 geförderten "engagierten Städten" zu gehören?
Die Chancen sind sehr, sehr gut. Mit unserer Vision, dass es nur miteinander geht, liegen wir richtig. Das bürgerschaftliche Engagement muss mehr aus der Bevölkerung kommen, Bürgerwissen muss in die politische Gestaltung eingebracht werden.

Können Sie schon konkret sagen, was Sie vorhaben?
Leitfaden ist die Frage: Was soll sich bis 2025 geändert haben? Es gibt zum Beispiel die Vision von einem Bürgerhaus als unabhängige, offene Begegnungsmöglichkeit. Die Akteure von verschiedenen Organisationen könnten Sprechzeiten anbieten, sich auch untereinander austauschen, und die Bürger mit ihren eigenen Ideen aktiv werden. Ein offener Treff als "Ideenschmiede" und zentraler Anlaufpunkt. Außerdem soll es eine Internetplattform geben, die aufzeigt, wer in welchem Bereich etwas macht, wer Ansprechpartner ist. Nicht jeder kleine Verein kann sich eine eigene Homepage leisten, und vor allem soll alles auf einen Blick zu finden sein.

Wenn Stendal zu den 50 ausgewählten Städten zählt, gibt es für zweieinhalb Jahre bis zu 50.000 Euro Fördermittel.
Natürlich braucht man auch Geld. Veranstaltungen, Personal, Leistungen von außen kosten nun mal Geld. Und wenn wir wirklich was erreichen wollen, sollten wir es nicht halbherzig angehen. Das ist ja das Missverständnis - viele denken: Alles, was ehrenamtlich beziehungsweise freiwillig ist, kostet nichts. Aber aus solchen Gedanken spricht für mein Empfinden der Mangel an Wertschätzung und Realismus.

Und wenn das Programm dann beendet ist?
Unser Ziel ist vor allem, dass es nach Auslaufen der Förderphase 2017 weitergeht, dass wir bis dahin Strukturen geschaffen haben, die das Ehrenamt ernst nehmen und es stärken. Und es muss zukünftig möglich sein, für kleine Projekte freier und mit weniger Bürokratie über Fördermittel zu entscheiden. Mit am wichtigsten ist, dass es ab Ende 2017 auch eine gesicherte Finanzierung gibt. Eine Mischung aus Zuschüssen, Fördermitteln und auch sicheren Mitteln aus dem Haushalt. In einigen anderen Städten und Landkreisen wird diese Koordination und Vernetzung des bürgerschaftlichen Engagements übrigens auch von der Verwaltung geleistet.

Sie klingen jedenfalls motiviert, dass es hier zunächst einmal außerhalb der Verwaltung machbar ist...
In mir ist eine Neugier auf neue Wege, natürlich hat auch die Freiwilligen-Agentur nicht immer gleich auf alles eine Antwort, aber wir haben eine klare Vorstellung vom besseren Miteinander. Und dazu laden wir die Bürgerschaft, Kommune, Politik und Wirtschaft ein.

Engagierte Stadt, 1. Netzwerktreffen in Berlin in den Raeumen der Robert Bosch Stiftung (c) 2015 Kathrin Harms
Engagierte Stadt, 1. Netzwerktreffen in Berlin in den Raeumen der Robert Bosch Stiftung (c) 2015 Kathrin Harms
Kathrin Harms