1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Stendal
  6. >
  7. Erst gewogen, dann geflogen

Erst gewogen, dann geflogen

Von Donald Lyko 16.08.2015, 19:46

Viele Helfer sorgen bei der Deutschen Segelflug-Meisterschaft auf dem Flugplatz in Stendal Borstel für einen reibungslosen Ablauf.

Stendal l Der Bäckerei-Verkaufswagen rollt gerade vom Platz, in und vor den Zelten und Wohnwagen lassen sich die Piloten, ihre mitgereisten Angehörigen und die Helfer die frischen Brötchen schmecken. Auch die Schleppflugzeug-Piloten greifen in ihrer Unterkunft ordentlich zu, denn Birgit Eichmann und Renate Geyhler haben wieder für einen reich gedeckten Frühstückstisch gesorgt. Während es sich die Männer nebenan schmecken lassen, bereiten die beiden Frauen in der Küche einige Brötchen für die Wettkampfleitung und das Organisationsbüro zu und kochen Kaffee.

Und jeden Morgen geht es auf die Waage

Am Küchenfenster rollen die ersten Segelflugzeuge vorbei, gezogen von Autos. Ihr Ziel ist die Waage. Dort warten Christine und Klaus Böhm, Helene Arendt und Heino Engelmann, alle Mitglieder im Stendaler Aero-Club und von vielen Wettkampf-Einsätzen an der Waage sehr erfahren. Klaus Böhm weist die Fahrzeuge so ein, dass die Flugzeuge mit ihrem einen Rad auf der Waage zum Stehen kommen. Die anderen schauen auf die elektronische Anzeige, schauen in die Unterlagen und geben das Okay zur Weiterfahrt.

Was sie in den Unterlagen nachgelesen haben, ist das Referenzgewicht, das bei der Anreise ermittelt worden war, wobei Pilot und Flugzeug inklusive Ausrüstung einzeln gewogen wurden. Dass Tag für Tag gewogen wird, hat einen Grund: Die Segelflugzeuge können mit Wasser betankt werden. Mehr Masse ist für den Start besser und auch für die Gleitgeschwindigkeit - mehr als das Referenzgewicht würde einen Wettbewerbsvorteil bedeuten, darum die Kontrolle. Lässt die Thermik nach, wird beim Fliegen Wasser abgelassen. Auf jeden Fall muss das vor dem Landen passieren.

Nach einem "Alles klar" von Christine Böhm - wer Übergewicht hätte, müsste gleich an der Waage Wasser aus dem Tank ablassen - ziehen die Piloten ihre Segelflugzeuge zum Startplatz. Helfer nennen auf dem Weg dorthin Reihe und Position. Die Startaufstellung in Dreier-Reihen wird täglich per Zufallsprinzip festgelegt. Nach und nach füllt sich der Platz, die Piloten und ihre Helfer bereiten die Flugzeuge vor - und hoffen, dass es an diesem Tag mit einem Wettbewerbsflug klappt. Welche Aufgabe von ihnen gefordert wird und wie das Wetter sich entwickeln soll, das erfahren die Piloten beim sogenannten Briefing im Zelt.

Auch das Wetter muss mitspielen

Darauf bereiten sich Wettkampfleiter Henning Schulte, Sportleiter Dennis Krull und Meteorologe Thomas Schubert gerade in ihrem Büro vor. Bei all den technischen Möglichkeiten hat Thomas Schuberts Tag um 6 Uhr aber mit einem Blick in den Himmel begonnen. Danach setzt sich der Diplom-Meteorologe, der beruflich beim Deutschen Wetterdienst in Offenbach arbeitet und in seiner Freizeit seit Jahren Wetterberater bei Wettkämpfen (auch schon in Stendal) ist, an den Computer, um sich zum Beispiel Satellitenbilder anzuschauen. Wie sieht es mit Niederschlagsgebieten in der Nähe aus? Gibt es Thermik? Wenn ja, wie stark ist sie? Und wie lange ist sie vorhanden? Wie entwickeln sich die Temperaturen und der Wind? Wenn er diese Fragen beantwortet, dann schaut Thomas Schubert, selbst begeisterter Segelflieger, nicht nur auf das Wetter rund um Stendal, sondern auf das gesamte Wettbewerbsgebiet.

Der Meteorologe hat seine Informationen zusammen, jetzt kann die Wettbewerbsleitung die Tagesaufgabe (A-Aufgabe) mit Strecke, Zeit und Wendepunkten festlegen und dazu noch eine Ersatzaufgabe (B-Aufgabe) mit Zeit- und Streckenverkürzung für schlechtere Thermik. Mit dabei sind die Pilotensprecher. Die Starter jeder Klasse - bei der Deutschen Meisterschaft in Stendal sind das die Offene Klasse und die 18-Meter-Klasse - haben aus ihren Reihen jeweils einen Sprecher gewählt.

Fünf Schleppflugzeug sorgen für schnellen Start

Ortswechsel zum Hangar: Davor stehen vier Wilgas, die als Schleppflugzeuge eingesetzt werden. Sie kommen aus Roitzschjora bei Eilenburg, Aschersleben, Neustadt-Glewe und Magdeburg, ein fünftes Flugzeug ist gerade aus Gardelegen kommend auf der Rollbahn gelandet. "Wir sind schon seit vielen Jahren dabei, kommen immer gern hierher, denn es macht viel Spaß", sagt René Lenser aus Neustadt-Glewe und fügt hinzu: "Es ist familiär, es wächst zusammen." Was von Vorteil ist: Wenn fünf Flugzeuge in kurzer Zeit so viele Segelflugzeuge in die Luft schleppen müssen, "dann muss man sich vertrauen", sagt der Pilot, der gern Urlaubstage nimmt, um nach Stendal zu kommen.

Nach dem Abheben beträgt die Schleppgeschwindigkeit rund 130 Stundenkilometer, 600 Meter über dem Boden werden die Segler abgekuppelt. Fünf bis sechs Minuten hat das Schleppflugzeug jeden Segler am Seil. Außer die, die einen ausklappbaren, motorbetriebenen Propeller haben und als Eigenstarter abheben.

Die Piloten haben sich derweil im Zelt versammelt. Am Eingang bieten Birgit Eichmann und Renate Geyhler Kaffee an. Wie an jedem Tag gibt Wettbewerbsleiter Henning Schulte den Piloten ein "Fliegt mit Sicherheit" mit auf den Weg. Die Aufgabe wird vorgestellt, ein Starttermin am frühen Nachmittag genannt. Die Vorbereitungen gehen weiter.

Per Funk und SMS werden die Piloten später über den verschobenen Start informiert. Nachdem Testflieger, sogenannte Schnupperer, wegen mangelnder Thermik wieder landen müssen, wird der Start für diesen Tag ganz abgesagt.

Die erste Woche hat von allen Geduld gefordert. Waren die Bedingungen am Montag beim offiziellen Training noch gut, war bis Sonnabend kein Wertungsflug möglich. Gestern ging es zwar in die Luft - ob es für eine Wertung gereicht hat, war bis Redaktionsschluss noch offen. Mindestens vier Wertungsflüge sind notwendig, um einen Deutschen Meister küren zu können.