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Schäfer und Jagdpächter sind sich über die fachgerechte Nutzung des Naturschutzgebiets zwischen Staffelde und Bindfelde uneinig Die schwarzen Schafe von Bindfelde

Von Katrin Wurm und Klaus Pohlmann 08.04.2010, 04:53

Das einstige Schießgelände der Roten Armee zwischen Bindfelde und Staffelde, in einer Größe von ca. 200 Hektar, wurde nach der Wende zum Naturschutzgebiet erklärt. Abseits von menschlichen Siedlungen und Verkehrswegen fühlen sich hier Hoch-und Niederwild sehr wohl. An den feuchten Stellen, Biotopen und Gräben leben die unterschiedlichsten Wasservögel und ziehen hier ihren Nachwuchs auf. Doch nun sollen einige Hundert Schafe alles durcheinander gebracht haben.

Stendal. Die Sonnenstrahlen kitzeln an diesem klaren Morgen. Eine grüne Weide und angrenzende Wälder bei Uenglingen bieten ein idyllisches Bild. Die Ruhe ist zu spüren. Nur auf der Weide hinter dem Dorf sind Geräusche zu hören. Doch nichts Störendes. Eine große Herde Heidschnucken grast dort. Inmitten der harmonisch blökenden Tiere steht der Schäfer. Überblickt die Herde, mit einem treuen Hund an seiner Seite.

Doch die Idylle trügt. Die blökenden Tiere sollen es faustdick hinter den Ohren haben. Einiges wird den gemütlichen Schafen vorgeworfen : Beschädigungen von Pflanzen und Bäumen, Überdüngung durch Kot oder Hinterlassenschaften wie Futterreste. Das Leben als Schaf ist also auch nicht mehr so einfach, wie es einmal war.

" Wir waren geschockt vom Zustand des Gebiets "

Ort der vermeintlichen Missetaten ist ein großes Waldund Weidegebiet in Bindfelde. Diese Fläche besteht aus mehreren gefährdeten Lebensraumtypen wie trockenem, kalkreichem Sandrasen, Orchideen oder feuchten Hochstaudenfluren. Deshalb muss diese Fläche besonders gepflegt werden, wobei die Schafe keine unwichtige Rolle spielen. Als praktische Maßnahme für Trocken- und Magerrasen, so wie er auf der Fläche in Bindfelde zu finden ist, sei eine entsprechene Beweidung durch Schafe, einschließlich der Gehölzerentfernung durchzuführen. So schreiben es die Maßnahmen zur Erhaltung der Lebensraumtypen in einem Dokument der Natura 2000 vom Land Sachsen-Anhalt vor.

Dieses Dokument hat Schäfer Ronald Gerecke in der Hand. Er ist Herr über knapp 900 Schafe und momentan nicht nur Hirte. " Behördengänge und Papierkram, damit beschäftige ich mich zurzeit sehr viel. Wo bleibt die Zeit für die Schafe ?", fragt er sich.

Seine Tiere sollen die Übeltäter aus Bindfelde sein. Seitdem ist beim Schäfer Gericke nicht mehr nur das weiden und hüten angesagt.

" Jedes tote Tier ist für mich ein Verlust "

Ins Rollen hatte den Streit um die " unartigen " Tiere erst vor einigen Wochen der Jagdpächter Wilfried Przygodda gebracht. Nach dem langen Winter hatte er das Gebiet mal wieder genau unter die Lupe genommen : Zusammen mit dem anderen Jagdpächter Henri Zander waren sie gemeinsam mit Gästen auf dem Gelände zwischen Bindfelde und Staffelde unterwegs.

Als sie die Waldgebiete betraten, waren sie " geschockt ", berichtet Przygodda. " Die Verursacher, eine Schafherde von Ronald Gerecke, waren bald gefunden. Diese Tiere, welche eigentlich die Brachfläche kurz halten sollen, wurden in der Winterzeit im angrenzenden Waldgebiet eingepfercht, so dass eine ungewöhnlich dicke Kotschicht den Boden bedeckte und so für eine Überdüngung der Waldfläche sorgt ", berichtet der Jagdpächter vom Gesehenen. Sicherlich wegen fehlender Nahrung wurde die Rinde von einigen hundert Jungbäumen abgefressen, vermutet er. Somit müssten diese gefällt werden. Beim weiteren Rundgang sei festgestellt worden, dass unerlaubt und unfachmännisch große Bäume gefällt wurden und die Wasservögel schon seit dem vergangenen Jahr nicht mehr zu sehen gewesen seien.

" In einer Senke und auf den angrenzenden Flächen fanden wir Schafschädel, Skelette, Knochen und Fellreste. Unglaublich, wie ein Schafhalter, der die Natur pflegen sollte, so ein Wald- und Weidegebiet behandeln kann ", bedauert der Jäger.

Bei Schäfer Gericke herrscht bei diesen Vorwürfen Unklarheit. " In der Vergangenheit gab es schon immer Diskrepanzen zwischen Schäfern und Revierpächtern. Dieser gipfelt in dieser extremen Winternotzeit ", sagt Gerecke.

In Erklärungsnot kommt er nicht : " Dass die Jungbäume angegriffen wurden, tut mir leid. Ich habe auch kein Problem damit, die Bäume zu ersetzen. " Es sei nunmal in diesem harten Winter wichtig gewesen, die Tiere zu schützen. Deswegen habe er sie in das Waldgebiet geschickt. Auch Zufütterung der Tiere sei wichtig gewesen, da in der winterlichen Notzeit dies zwingend erforderlich gewesen sei.

" Die Wasserflächen auf der Weide waren zugefroren. Da wären die Tiere verendet ", so der Schäfer. " Aber die Tiere verkoteten definitiv keine Tränkstellen oder waren auch nicht am Fernbleiben der Wildenten schuld. " Auch wird dem Schäfer vorgeworfen, etwa zehn Birken abgeholzt zu haben. " Das war als begleitende Maßnahme zu Biotoperhaltung zwingend erforderlich. Außerdem bin ich als Waidmann auch verpflichtet, in Notzeiten den Wildtieren zu helfen. Die wären sonst an keine Triebe gekommen. "

" Tote Tiere dürfen nicht auf der Fläche bleiben. Manchmal ist es aber aufgrund der Größe der Fläche nicht anders möglich ", so Gerecke über den Fund der Skelette. " Für die Natur ist es ein Gewinn, für mich ist jedes tote Tier ein Verlust. "

Die Jäger und Vertreter vom Umweltamt schlagen eine Gesprächsrunde mit dem Schafhalter vor, um Richtlinien für eine artgerechte Schafhaltung, Hege und Pflege in einem Naturschutzgebiet festzulegen.

Auch der Schäfer ist momentan mit der Aufklärung der Vorwürfe beschäftigt. " All das ist Zeit, die ich nicht bei meinen Tieren verbringen kann ", sagt er und schwenkt seinen Blick über die Herde. Mit einem gekonnten Laut ruft er die Tiere und zieht mit ihnen weiter über das Gebiet hinter Uenglingen. " Es muss ja weitergehen ", meint er.