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Ausgliederung der Reinigungskräfte Sparzwang macht es Ärzten nicht leicht

Das Reinigungspersonal im Harzklinikum soll deutlich weniger verdienen
und möglicherweise ausgegliedert werden. Der Patientenbegleitdienst und
das Küchenpersonal könnten folgen. In welchen wirtschaftlichen Zwängen
das Krankenhaus steckt, darüber hat Volksstimme-Redakteurin Julia Bruns
mit Chefarzt Dr. Tom Schilling gesprochen.

21.03.2014, 01:13

Harzer Volksstimme: Dr. Schilling, das Reinigungspersonal verdient derzeit nach Tarif etwa 12 Euro pro Stunde. Weshalb sollen die Frauen künftig für deutlich weniger Geld arbeiten?
Tom Schilling: Wir unterliegen den Begrenzungen einer - gemessen an den geforderten Leistungen - prinzipiell unzureichenden Krankenhausfinanzierung. Leider ermöglicht diese Finanzierung nicht mehr, für bestimmte Berufsgruppen Löhne deutlich über dem marktüblichen Vergütungsniveau zu zahlen. Unser Ziel war es, einen einheitlichen Tarif für alle Standorte des Klinikums auszuhandeln und die Reinigungskräfte in einem eigenen Tochterunternehmen, der Proklin GmbH, zu beschäftigen. Die Verhandlungen mit der Gewerkschaft waren nicht erfolgreich. Daher wurde in Abstimmung mit dem Aufsichtsrat über eine öffentliche Ausschreibung der Reinigungsleistungen diskutiert. Die Tür für weitere Verhandlungen mit ver.di ist von unserer Seite nicht zugeschlagen.

Volksstimme: Wie empfinden Sie und die anderen Ärzte die Situation?
Schilling: Keiner aus ärztlichen oder sonstigen Bereichen, auch nicht die Klinikleitung, kann ertragen, was jetzt passieren muss. Ich empfand die geringe Lohnspreizung zwischen den Berufsgruppen im Harzklinikum immer als wohltuend und sozial gerecht. Die Stimmung unter uns Ärzten ist an sich gut - viele schätzen die Vorteile eines kommunalen Hauses. Grundsätzlich ist die Ärzteschaft aber unzufrieden mit Unzulänglichkeiten des Systems - es herrscht Unmut darüber, dass ein so wesentlicher Bereich der Daseinsvorsorge zu einer strikt ökonomisierten "Industriesparte" degradiert wurde und dass man sich gelegentlich für Dinge zu rechtfertigen hat, die man nicht verantwortet und selbst nur schwer erträgt.

Volksstimme: Wie finanziert sich das Harzklinikum?
Schilling: Kliniken erhalten zum einen für die Behandlung eines Patienten eine diagnosebezogene Behandlungspauschale, den DRG-Erlös. Er soll die direkten Behandlungs- und Personalkosten abdecken. In die Kalkulation des DRG-Erlöses fließen die marktüblichen - nicht tariforientierten - Personalkosten ein. Aus diesem DRG-Anteil darf im ursprünglichen Sinne kein Gewinn oder Investitionsgeld erwirtschaftet werden. Zudem gibt es pauschale Fördermittel vom Land für Investitionen. Diese Summe reicht jedoch nicht aus - die notwendigen Investitionen stauen sich bundesweit an. Die gesamte Budgetentwicklung hinkt seit Jahren zudem der Inflationsrate hinterher. Um das zu illustrieren: Etwa die Hälfte aller Kliniken in Deutschland arbeitet nicht kostendeckend oder gar gewinnbringend.

Volksstimme: Könnte nicht einfach an den Gehältern der Ärzte gespart werden?
Schilling: Es gibt einen Mangel an qualifiziertem ärztlichen und pflegerischen Personal - und somit einen Wettbewerb um diese Berufsgruppen. Das Harzklinikum zahlt seinen Ärzten Löhne, die sich am Flächentarif orientieren. Eine ganze Reihe an Klinikträgern zahlt Ärzten mehr als wir und spart dies zusätzlich bei anderen Berufsgruppen ein. Auch im umliegenden europäischen Ausland werden Ärzte teils besser vergütet oder arbeiten unter besseren Bedingungen. Gerade in ländlichen Regionen können wir nicht unter ein bestimmtes Niveau gehen, wenn wir die Versorgung absichern wollen.

Volksstimme: Die Ärzte im Harzklinikum verdienen also zu wenig?
Schilling: Nein, ich denke, dass ärztliche Tätigkeit im Grundsatz mittlerweile angemessen honoriert wird. Fakt ist aber auch, dass sich viele Ärzte weiterhin zeitlich wie inhaltlich weit über das vertraglich geforderte Maß einbringen.

Volksstimme: Mitte 2012 sind das Quedlinburger und das Wernigeröder Haus zum Harzklinikum "Dorothea Christiane Erxleben" fusioniert. Welche Rolle spielt die Fusion bei den Entscheidungen, die derzeit getroffen werden?
Schilling: Die Einsparungen wären unabhängig von der Fusion notwendig gewesen und resultieren aus der Diskrepanz zwischen den Tariflöhnen und den marktüblichen Löhnen. Vielleicht wären die Folgen ohne Fusion sogar noch drastischer gewesen.

Volksstimme: Wenn der freie Markt die Lohngestaltung bestimmt, wo ist dann noch der Unterschied zu einer privatisierten Klinik?
Schilling: Das Harzklinikum erfüllt einen sozialen Auftrag - so beschäftigen wir Menschen mit verschiedenen Beeinträchtigungen. Wir verkürzen nicht wie andere Unternehmen die Wochenarbeitszeit bei gleicher Arbeitsbelastung. Das Harzklinikum muss zudem keine Rendite aus den DRG-Erlösen erwirtschaften - diesen Zusatzdruck haben private Kliniken.

Volksstimme: Sie sind streng gegen eine Privatisierung?
Schilling: Ich halte das Gesundheitswesen für einen wesentlichen Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge. Gesellschaft und Politik sollten in der Lage sein, im Konsens ein öffentliches Gesundheitswesen zu organisieren, dessen Versorgungsumfang zu definieren und es auskömmlich zu finanzieren. Diese Aufgabe in private Hand abzugeben, ist letztlich das Eingeständnis, dass Gesellschaft und Politik nicht in der Lage waren, diesen wichtigen Bereich zu gestalten.

Volksstimme: Gibt es eine Lösung für das Dilemma der Krankenhausfinanzierung?
Schilling: Der übliche Ruf nach mehr Geld ist alleine nicht die Lösung. Wir alle müssen uns fragen: Welches Maß der Versorgung halten wir für dieses Gebiet der Daseinsvorsorge für geboten? Was ist uns dieses Maß an Gesundheit wert? Wie ermöglichen wir den Leistungserbringern, also den Kliniken, dieses Geforderte zu leisten? Momentan ist die öffentliche Diskussion unehrlich, gewollt skandalisierend und polarisierend.

Volksstimme: Wie wird die zukünftige Entwicklung des Harzklinikums gestaltet?
Schilling: Wir befinden uns - als größtes und leistungsstärkstes Klinikum des Landes nach den Universitäten - in einer Phase der Neuordnung und optimieren zurzeit in verschiedenen Projekten viele Prozesse, um diese im Sinne der Patienten und Zuweiser weiter zu verbessern. Wir arbeiten daran, ein Wir-Gefühl bei allen Beschäftigten zu schaffen - Zeiten der Änderung erzeugen bei vielen Ängste und irrationale Reaktionen - aber das Klinikum ist auf einem guten Weg.