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Industrieller Aufschwung sorgt für den Anschluss des Harzörtchens an die Region (Fast) vergessen - vor 125 Jahren hat die Eisenbahn Tanne erreicht

Von Ulrich Kasten 20.10.2011, 04:23

Es ist ein fast vergessenes Jubiläum in den Annalen der Harzer Eisenbahngeschichte - vor 125 Jahren, am 15. Oktober 1886, wurde der Streckenabschnitt nach Tanne fertiggestellt.

Tanne l Besonders mit Beginn des 19. Jahrhunderts wurden in der Montan- und Hüttenindus- trie Deutschlands regionale Stoffkreisläufe durchbrochen. Der Bedarf an Fertigerzeugnissen wuchs stark. Neue Standorte für die Produktion wurden erschlossen und alte, die gewinnbringend zu fördern waren, ausgebaut. Im Zusammenhang mit dieser Entwicklung stieg das Güteraufkommen stark an. Unter diesen Bedingungen wurde der bereits 1843 diskutierte Bahnanschluss Blankenburgs über Halberstadt ein Vierteljahrhundert später erneut zum Diskussionsthema.

Nach Gründung der Halberstadt-Blankenburger Eisenbahngesellschaft (HBE) konnte am 28. Juli 1870 mit dem Bau der 18 Kilometer langen Hauptbahn bis in das braunschweigische Blankenburg begonnen werden. Die Eröffnung erfolgte am 31. März 1873. Der erste Hochofen im neuen Werk Blankenburg wurde im Mai 1875 angefahren. Der Anschluss an das Blankenburger Hochofenwerk (drei Kilometer) konnte am 3. Juli 1875 fertiggestellt werden.

Das Eisenerz aus dem Harz wurde nach dem vollständigen Aufkauf der Vorkommen um Hüttenrode-Braunesumpf durch das Bankhaus Eltzbacher (1872) mit einer Erzstufenbahn zum Werk in Blankenburg befördert. Diese technische Lösung erwies sich als notwendig, da es bis dahin keine bezahlbare Trassenlösung für diesen Steilabfall am Blankenburger Nordharzrand gab. Die Erzstufenbahn war eine regelspurige Werkbahn mit vier Gleisebenen. Diese waren durch drei Rutschen (Schurren) verbunden. Die Strecke begann an den Erzstollen in Braunesumpf und reichte bis an die Erzsturzbrücke des Hochofenwerkes. Auf jeder dieser vier Stufen war eine zweiachsige Dampflok aus der Maschinenfabrik Zorge stationiert. Es gilt als gesichert, dass diese Bahn die erste Indus-triebahn des Harzes ist.

Die private HBE prüfte aufgrund vorhandener Transportgüter (Holz, Kalk, Erze und anderes mehr) und nachdrücklicher Forderungen aus Harzgemeinden eine Weiterführung dieser Bahnstrecke über Elbingerode bis nach Tanne.

Am 8. April 1884 beschloss die Generalversammlung der HBE einstimmig den Weiterbau ab Hochofenwerk Blankenburg/ Harz. Der damalige Eisenbahndirektor Albert Schneider konnte den in Paris lebenden Schweizer Ingenieur Roman Abt für den erstmaligen Einbau seines Zahnstangensystems in eine Gebirgsbahn (Steigungen bis 1:16,6) gewinnen. Der Bau begann im August 1884. Bis Rübeland konnte die Strecke zum 1. November 1885, bis Elbingerode zum 1. Mai 1886 und bis Tanne zum 15. Oktober 1886 fertiggestellt werden. Die Innovation des Abt\'schen Zahnstangensystems wurde aufgrund der überzeugenden Ergebnisse in mehreren Bergregionen der Welt nachgenutzt.

Am 26. Januar 1913 wandte sich die HBE mit der Bitte an den Minister für öffentliche Arbeiten, Vorleistungen für den Bau einer Bahnstrecke von Tanne bis Herzberg durch das Siebertal zu unterstützen. Gefördert wurde das Projekt auch von den Gemeinden Herzberg, St. Andreasberg, Braunlage und von Oberharzer Industriebetrieben. Geplant war eine Verbindung Elbingerode-Elend- Braunlage-St. Andreasberg-Sieber- Herzberg. Am 8. September 1913 erhielt die HBE die Genehmigung für die Gesamtstrecke und die Erlaubnis zur Aufnahme allgemeiner Vorarbeiten.

Streit über Trassierung lässt Elbingerode-Herzberg sterben

Der erste Weltkrieg (1914 bis 1918) unterbrach alle weiteren Aktivitäten. Ende 1918 wurde erneut über den Bahnbau beraten. In der Versammlung sprach sich die Stadt Bad Lauterberg für eine andere Trassierung aus. Die Differenzen konnten nicht geklärt werden, so dass damit das endgültige "Aus" für die Oberharzbahn Elbingerode-Herzberg kam.

Nach 30 Jahren Betrieb hatte diese Gebirgsbahn die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit erreicht. Die HBE bereitete die zweite technische Innovation vor: Die Konstruktion einer schweren 1 E 1-Tenderlok, die diese Steigungen im reinen Adhäsionsbetrieb bewältigen konnte. Nach einem ersten Entwurf 1917 konnte Borsig 1920 die erste Lok der sogenannten "Tierklasse" ausliefern. Diese bestätigte die an sie gestellten Erwartungen und halbierte die Fahrzeiten auf den Steilstrecken. Auch deren Nachfolgerin, die T 20 / BR 95 bewährte sich nicht nur auf den Steilstrecken der Rübelandbahn. Sie war vor Güterzügen ab Blankenburg bis in die 1960er Jahre sogar in Dreiertraktion im Einsatz.

Das 1958 in der DDR beschlossene Chemieprogramm verlangte künftig so große Mengen von Kalkstein aus dem Harz, dass die Rübelandbahn wieder an ihre Kapazitätsgrenzen stieß. Nach mehreren Variantenuntersuchungen entschied man sich für eine dritte technische Innovation: Die Elektrifizierung dieser Strecke als Inselbetrieb mit einem gesonderten Stromsystem und angepassten leistungsstarken E-Loks zwischen Blankenburg/Hbf.-Königshütte-Büchenberg.

Parallel zur Elektrifizierung erfolgte der Ausbau der Strecke für längere Züge und höhere Lasten bis Halberstadt und der Einbau moderner Gleisbildtechnik. Die Aufnahme des elektrischen Betriebes mit geplanten Unterbrechungen erfolgte am 30. November 1965 und im 24-Stunden-Betrieb ab dem 30. Juli 1966. Zum Beginn des Winterfahrplans 1966/1967 wurde der touristisch wichtige Anschluss Elbingerode-Wechsel-Drei Annen Hohne (Harzquer- und Brockenbahn) stillgelegt. Am 1. November 1968 folgte die Einstellung des Bahnverkehrs zwischen Königshütte und Tanne.

Gesamtes Streckennetz steht seit 1995 unter Denkmalschutz

Die Rübelandbahn hat nach dem Anschluss der DDR an die BRD, der Integration der Deutschen Reichsbahn in die Bundesbahn und der später erfolgten Bildung der DB-Holding von den Ostharzbahnen am stärksten gelitten. Rückübertragungsansprüche, Kompetenzgerangel, Preistreiberei und sehr eingeschränktes Verantwortungsgefühl im DB-Konzern waren Ursachen für nicht getätigte zukunftssichernde Schritte. Dabei sollte beachtet werden, dass die gesamte Strecke, ausgewähltes rollendes Material, Bahnanlagen und einige Nebenanlagen seit dem 2. März 1995 unter Landes-Denkmalschutz stehen. Es kam in diesen Jahren zur Stilllegung des Abschnittes Königshütte-Wechsel, zum Verkauf der Stamm-E-Loks (außer der denkmalgeschützten E 251.001 und E 251.002), der Aufgabe des elektrischen Betriebs und der Umwandlung in eine private Anschlussbahn ab Blankenburg/Hauptbahnhof (2007).

Dagegen standen der Landtag und die Landesregierung von Sachsen-Anhalt seit Beginn der Auseinandersetzungen immer zur Rübelandbahn und ihrem elektrischen Betrieb. Erst am 17. April 2009 konnte durch hohes Engagement der Fels-Werke und mit finanzieller Unterstützung des Landes Sachsen-Anhalt der unter allen Varianten leistungsfähigste und umweltfreund- lichste Betrieb - die elektrische Traktion - mit zwei E-Loks der BR 185 ("Blankenburg" und "Rübeland") wieder aufgenommen werden.

Der Autor ist Verkehrspolitischer Sprecher des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) Sachsen-Anhalt.