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Ein junger Vater schreibt einen sehr ungehaltenen offenen Brief an den Oberbürgermeister Warteschleife beim Elterngeld sorgt für Unruhe in Familien

Von Katja Tessnow 19.07.2011, 06:34

Henry Gerloff sind die Nerven durchgegangen. Er ist Vater geworden. Er wartet auf Geld. Seine Frau und er teilen sich die Elternzeit, doch das Elterngeld ließ auf sich warten. Der junge Vater setzte einen offenen Wutbrief an den Oberbürgermeister ab. Für Ausfälle hat er sich zwischenzeitlich entschuldigt. Das Geld für die Familie ist bewilligt. Allerdings sind Gerloffs kein Einzelfall. Das Sozialamt räumt personellen Notstand ein und ersucht händeringend um Hilfe.

Magdeburg. "Sagen Sie mal, haben Sie Ihren Scheißladen überhaupt ein bisschen unter Kontrolle? Wissen Sie überhaupt, was in Ihrem Namen mit uns Bürgern und vor allem mit uns Eltern abgezogen wird? "

Zweieinhalb Seiten lang ergeht sich Henry Gerloff in diesem Tonfall in seinem Brief an OB Lutz Trümper und er versteigt sich schließlich sogar zu Drohungen.

Das war zu viel. Vater Gerloff hat inzwischen - über sich selbst erschrocken - einen Nachtrag abgesetzt, in dem er für die Drohpassage "äußerst beschämt" um Entschuldigung bittet. Er wolle doch nur um seine "Familie kämpfen", für sie "gerade stehen" - und bei Familie Gerloff lagen die Nerven blank, verständlicherweise.

"Wir haben ein Amtshilfeersuchen beim Land gestellt"

Ende April stellten die Gerloffs, so weit bestätigt das Sozialamt den Fall, ihren Elterngeldantrag. Es hätten Unterlagen gefehlt, so die Amtsleiterin. Es wurden Unterlagen nachgereicht und nochmals welche nachgefordert. Anfang Juni sei der Antrag komplett gewesen. Anfang Juli war noch immer kein Geld auf dem Konto der Gerloffs. Am 10. Juli platzt dem Vater im zitierten Brief der Kragen. Am 12. Juli ergeht der Bewilligungsbescheid fürs Elterngeld. Gerloffs atmen auf. Andere warten weiter.

Laut Bundesgesetz stehen Eltern nach der Geburt eines Kinder bis zu 14 Monate Elterngeld (67 Prozent des Nettodurchschnittslohnes aus dem Jahr vor der Entbindung; Obergrenze 1800 Euro) zu. Das Geld kommt vom Bund. Bis Ende 2009 hat das Land Bearbeitung und Auszahlung übernommen. Seit 2010 muss das städtische Sozialamt die Aufgabe schultern. Dazu hat das Land sein Personal an die Stadt übergeben. Aber hier beginnt schon das Problem. "Eine Mitarbeiterin ist im Dauerkrankenstand", weiß OB Lutz Trümper - frisch mit dem Brief konfrontiert - von Problemen. "Ich lasse das klären. Wenn es stimmt, dass Eltern bis zu sieben Monate aufs Elterngeld warten müssen, wäre das schlimm. Das wird sofort abgestellt."

Die bis zu sieben Monate lange Wartezeit erwähnt Vater Gerloff in seinem Wutbrief. Bei ihm seien es "ja erst zwei Monate", aber von den anderen Warteszenarien habe er gehört. Sozialamtsleiterin Simone Borris bestreitet Wartezeiten von sieben Monaten, nicht aber eine "vertrackte Situation" im Amt, die immerhin zu 8 bis 12 Wochen Bearbeitungszeit für einen Elterngeldantrag nach sich zöge.

"Dringende Fälle versuchen wir vorzuziehen, aber das ist keine Lösung, weil dann andere liegen bleiben und dringlich werden. Dann steht D oder Doppel-D oder DDD auf den Akten."

Konkret lägen aktuell rund 200 vollständige Anträge zur Bearbeitung "auf Halde" und weitere 150, bei denen von Eltern Unterlagen (z. B. Verdienstbescheinigungen) nachgefordert werden müssen. Rund 50 Neuanträge gehen pro Woche ein. Das bedeutet jeweils 50 neue Magdeburger, über die sich die Stadt erklärtermaßen freut. In der Elterngeldstelle beim Sozialamt mit Sitz im Wilhelm-Höpfner-Ring treffen die frisch gebackenen Eltern aber auf eine überforderte Minibelegschaft. So jedenfalls muss man die Lage deuten, von der die Sozialamtsleiterin selbst berichtet.

"Wir haben dort eigentlich eine Leiterin und vier Mitarbeiterinnen. Eine ist dauerhaft krank, eine weitere arbeitet nur verkürzt und ist deshalb in einen anderen Bereich versetzt." Nun drohte auch noch die Urlaubszeit. Amtsleiterin Borris hat Notrufe abgesetzt.

"Wir haben ein Amtshilfeersuchen beim Land gestellt und hoffen, dass uns Mitarbeiter aus einem Landkreis ausgeliehen werden. Ein Kollege aus einem anderen Bereich unseres Amtes wird gerade in der Elterngeldstelle eingearbeitet, aber das braucht Zeit. Die Programme zur Bearbeitung sind nicht ganz unkompliziert." Die Arbeitszeit der Kollegen sei bereits von 40 auf 50 Stunden heraufgesetzt worden. "Wir wollen außerdem eine Telefonhotline für Nachfragen einrichten, weil die Mitarbeiter wegen der Arbeitsbelastung im Moment kaum ans Telefon gehen können", so Simone Borris.

Mangelnde Nachfragemöglichkeiten für die Eltern bedeuten wiederum oft mangelhafte bzw. unvollständige Anträge. Die verursachen Mehrarbeit im Amt und können zu finanziellen Notlagen in den Familien führen, weil sich die Bearbeitung ihres Elterngeldantrages noch über die Normalwartezeit hinaus verzögern kann.

"Wir haben alles, was geradeaus laufen kann, für die Bearbeitung abgestellt"

Das Sozialamt ringt um Amtshilfe, wobei die angespannte Amtslage auch rund um die Elterngeldstelle herum tragfähige, personelle Lösungen kaum in Sichtweite rücken lässt.

Amtsleiterin Borris: "Wir haben alles, was geradeaus laufen kann, für die Bearbeitung von Anträgen zum Bildungs- und Teilhabepaket abgestellt." Besagtes Paket hat die Bundesregierung zur Unterstützung von Kindern geschnürt und allerorts wird sein bürokratischer Überbau beklagt. 3600 Anträge gingen im Magdeburger Sozialamt zum Förderpaket ein, allein 1700 auf einen Zuschuss zur Mittagsversorgung von Kita- und Schulkindern. Weil den Eltern kein Bargeld ausgezahlt werden darf, hat die Stadt Absprachen zur Verrechnung mit mehr als einem Dutzend Essensversorgern zu treffen. "Dann haben die Familien auch Anspruch auf ein Schulpaket in Höhe von 70 Euro. Das muss im August auf dem Konto sein", so Borris.

Daneben ist schon die Antragsbearbeitung für den Magdeburg Pass (Ermäßigungsausweis für sozial Schwache) ins Stocken geraten (Volksstimme berichtete). Die Überforderung im Sozialamt ist allenthalben offensichtlich, auch im Internet. Dort heißt es: "Bis einschließlich September 2011 bleibt das Amt donnerstags geschlossen. Grund ist das zusätzliche Arbeitsaufkommen der Mitarbeiter durch das Bildungs- und Teilhabepaket, das Bundeselterngeld und die zu erwartenden Anträge für Wohngeld."