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Interview mit Umweltminister Hermann Onko Aeikens über die viel zu zähe Planung beim Hochwasserschutz "Die Natur hat es uns gezeigt"

12.06.2013, 01:22

Umweltminister Hermann Onko Aeikens (CDU) fordert mehr Tempo und Vorfahrt für den Flutschutz. Ihn fragte Volksstimme-Redakteur Jens Schmidt.

Volksstimme: Herr Minister, Fachleute fordern seit Jahren, den Flüssen endlich mehr Platz zu geben. Warum zögert die Politik so lange?

Hermann Onko Aeikens: Das machen wir in Sachsen-Anhalt ja nicht. Gut 2600 Hektar Überflutungsfläche sind an der Elbe geplant oder im Bau: Davon liegen fast 1800 Hektar bei uns. In unserer Hochwasserschutzkonzeption steht nicht: Deiche hoch und sonst nichts. Natürlich sind moderne Deiche vor allem für Städte und Gemeinden wichtig. Aber wir nehmen den Rat der Fachleute sehr ernst, auch Überflutungsflächen zu schaffen. Die Polder bei Quitzöbel zum Beispiel senken die Elbe-Flut um bis zu 40 Zentimeter. Das kann für viele Flussanrainer lebensrettend sein.

Volksstimme: Klingt gut, aber die Realität wirkt ernüchternd: Von den geplanten Flutflächen ist noch nicht viel fertig; gerade mal ein Drittel ist in Angriff genommen. Warum dauert das so lange?

Aeikens: Wir wären an vielen Stellen auch gern weiter. Aber wir haben zum Teil endlose Debatten mit Eigentümern und Landwirten - und ohne deren Einverständnis können wir derzeit nicht viel machen. Ob es um Polder geht oder Deichrückverlegungen oder Rückhaltebecken. In Merseburg an der Saale bekommen wir nicht die Unterschriften der Eigentümer. Bei Alt Jeßnitz haben wir nach langen Debatten eine Einigung gefunden - nun müssen die Unterlagen nochmals im Landesverwaltungsamt überarbeitet werden. Baustart ist voraussichtlich 2015. Auch beim Bau von Rückhaltebecken im Harz stecken wir in der Planphase fest. Die Harzflut war bekanntlich 1994.

Volksstimme: Für den Aufbau Ost gab es nach der Wende ein Verkehrswege-Beschleunigungsgesetz. Braucht Deutschland ein Beschleunigungsgesetz für den Hochwasserschutz?

Aeikens: Ja. Zum Beispiel könnte man sich vorstellen, nur eine Klageinstanz zuzulassen. Das wäre mit Einschnitten für Bürger und Verbänden verbunden. Das ist eine Güterabwägung, die wir zu treffen haben. Aber ich denke: Hochwasserschutz muss Vorfahrt haben.

Volksstimme: Beim Straßenbau werden Grundeigentümer notfalls auch enteignet und entschädigt - sollte dies künftig beim Hochwasserschutz auch möglich sein?

Aeikens: Auch darüber müssen wir reden. Eine ähnliche Rechtslage haben wir beim Bergrecht. Da geht es um Energiesicherheit; beim Verkehrswegebau geht es um wirtschaftliche Belebung - beim Hochwasserschutz aber geht es um Leib und Leben und den Schutz hoher Sachwerte. Die Flut 2002 verursachte in Sachsen-Anhalt Schäden von mehr als einer Milliarde Euro. Die Schäden der Flut 2013 werden deutschlandweit wieder in die Milliarden gehen. Vorbeugender Schutz käme uns günstiger.

Volksstimme: Bürgermeister und Katastrophenstäbe ärgern sich über schwankende oder ungenaue Pegel-Prognosen. Sollten die Verantwortlichen künftig angewiesen werden, bei ihren Vorbereitungen künftig einen Sicherheitsaufschlag zu kalkulieren?

Aeikens: Das Natursystem Fluss lässt sich nicht auf den Zentimeter genau vorausberechnen. Einige meinen: Wenn es schwierig wird, soll das Land die Verantwortung übernehmen. Ich sehe das anders. Welchen Aufschlag man kalkuliert, müssen die Verantwortlichen vor Ort selber entscheiden - sie kennen die Lage am besten.

Volksstimme: Die Flut 2013 hat die Pegel fast überall auf Rekordhöhen schnellen lassen. Müssen Deiche noch höher und Überflutungsflächen noch größer werden als bislang geplant?

Aeikens: Das müssen die Fachleute jetzt klären. Bei den Deichen gilt bislang das Maß: Pegelmaximum von 2002 und ein so genannter Klimawandel-aufschlag von einem Meter. Ob das reicht, werden wir bereden. Fakt ist auch, dass die alten Deiche mit diesen extremen Wassermassen nicht fertig werden. Diese müssen schleunigst modernisiert werden. Auch größere Polder haben wir ins Kalkül zu ziehen. Aber nicht nur wir in Sachsen-Anhalt, sondern auch die Verantwortlichen in den anderen Ländern. Und: Wir Politiker müssen die Warnungen der Klimaforscher vor größeren Wetterextremen ernster nehmen. Starkregen oder heftige Schneefälle mit schnell einsetzender Schmelze werden zunehmen. Ich bin seit 22 Jahren in Sachsen-Anhalt und habe nun schon zwei extreme und drei starke Hochwasser erlebt.

Volksstimme: Kann uns solch eine extreme Flut bald wieder ereilen?

Aeikens: Das kann man nicht ausschließen. 2002 dachten wir noch, so ein verheerendes Hochwasser kommt vielleicht einmal im Jahrhundert. Nun hat uns die Natur gezeigt, wozu sie in der Lage ist. Ich hoffe, dass auch andere Verantwortliche in den nächsten Jahren daran denken, wenn das Zerstörte wieder aufgebaut ist.